Gewichtsregulation und Abnehmen
Gewichtsregulation und Abnehmen
Im heutigen Blogbeitrag werden wir die sensiblen Themen „Abnehmen“ und „Gewichtsregulation“ in den Blick nehmen. Es soll hier jedoch keineswegs darum gehen, die „10 neuesten Abnehmtricks“ zu enthüllen. Stattdessen werden wir kritisch betrachten, ob nachhaltig und langanhaltend Gewicht zu verlieren überhaupt eine realistische Möglichkeit ist. Wie denkt die Wissenschaft über Gewichtsregulation? Welche Hinweise können wir aus der Ernährungspsychologie, der Neurowissenschaft, der Biologie und vielleicht sogar der Philosophie ziehen? Wenn du dich schon immer gefragt hast, warum gerade bei dir das Abnehmen nie langfristig funktioniert, könnte dieser Blogbeitrag zu deinem inneren Frieden beitragen.
Der Glaube ans Abnehmen
Der Glaube, sein Gewicht regulieren zu müssen, sprich möglichst schlank zu sein, ist fest in unserer Kultur verankert. Dabei sollen wir jedoch nicht nur einfach schlank sein, sondern auch noch Muskeln und/oder Kurven haben. Zweifellos kommen hier auch patriarchalische Gesellschaftsnormen zum Ausdruck. Allerdings ist es seit geraumer Zeit nicht mehr so, dass lediglich Mädchen und Frauen an strikte Körpernormen gebunden sind. Das Schlankheitsideal, der Zwang zum gesund aussehenden Körper, betrifft mittlerweile auch Jungs und Männer. Wir alle könnten davon profitieren, diese rigiden Normen zu hinterfragen. Dieser Blogartikel versucht einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass Gewichtsregulation und Abnehmen aus anderen Perspektiven betrachtet wird.
Abnehmen und kognitive Verzerrungen
Wir Menschen sind zwar gehirntechnisch ziemlich weit entwickelt, aber trotzdem tendieren wir zu sogenannten Heuristiken, die zu kognitiven Verzerrungen führen können. Um nicht über jede alltägliche Entscheidung bewusst nachdenken zu müssen, wenden wir alle Faustregeln (Heuristiken) in unserem Denken an. Das ist alles andere als schlimm. Es wäre stattdessen furchtbar, bei jedem Mal aktiv darüber nachdenken zu müssen, was 2 + 2 ergibt. Das Ergebnis auf die Aufgabe „2+2“ kommt uns zuverlässig und intuitiv in den Sinn. Manchmal führen die Faustregeln unseres Denkens jedoch zu gravierenden Denkfehlern. Diese systematischen Fehler im Denken werden auch kognitive Verzerrungen genannt. Kognitive Verzerrungen sind fehlerhafte Abkürzungen im Denken, die zu systematischen Fehlern bei der Entscheidungsfindung führen.
Eine kognitive Verzerrung lässt sich so verstehen: Es ist als würden wir bei der Aufgabe 2 + 2 immer zu der Entscheidung gelangen, dass 5 die korrekte Antwort sei.
Verfügbarkeitsheuristik
Unser Gehirn findet zwar meist die richtige Abkürzung. Aber es gibt auch einige systematische Fehler zu denen wir alle neigen. Also fehlerhafte Abkürzungen im Denken, die uns alle betreffen. Eine in unserer heutigen Zeit wichtige kognitive Verzerrung ist die sogenannte Verfügbarkeitsheuristik. Diese kognitive Verzerrung machen sich Werbung und Marketing gerne zu Nutze. Wir Menschen glauben nämlich am ehesten den Informationen, die wir am leichtesten aus unserer Erinnerung abrufen können. Stell dir zum Beispiel vor, Du siehst einen furchtbaren Autounfall mit Verletzten und viel Blut. Würde dich nun im Verlaufe der nächsten Tage jemand fragen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von schweren Autounfällen sei, würdest Du diese Wahrscheinlichkeit vermutlich überschätzen.
Nicht, dass die Wahrscheinlichkeit plötzlich höher geworden wäre. Aber das intensive Bild des Autounfalls brennt sich in dein Gedächtnis ein und wird dadurch schnell und leicht abgerufen.
Verfügbarkeitsheuristik und Werbung
Stell dir nun vor, Du würdest über Wochen jeden Tag wieder eine bestimmte Werbung auf deinen Social-Media-Kanälen oder im Fernsehen zu sehen bekommen. Angenommen in dieser Werbung würden unterschiedliche Personen, die dir recht ähnlich sind, erzählen, was ihnen besonders gut beim Abnehmen helfen würde. Sagen wir, sie bewerben Produkt XY. Wenn dich dann jemand fragt, welches Produkt am besten beim Abnehmen helfe, würde dir am schnellsten Produkt XY einfallen. So funktioniert die Verfügbarkeitsheuristik in der Werbung auch ohne, dass das Produkt XY wirklich beim Abnehmen hilft.
Confirmation-Bias
Ein weiterer, mit der Verfügbarkeitsheuristik verwandter systematischer Denkfehler ist der Confirmation-Bias (Bestätigungs-Fehler). Wir neigen dazu, Informationen zu suchen und zu erinnern, die zu unseren bisherigen Annahmen und unseren Wünschen passen. Wer also den Wunsch hat, schnell und viel Gewicht abzunehmen, neigt dazu, Informationen zu suchen und zu erinnern, die versprechen diesen Wunsch zu erfüllen. Wenn Du also erstmal davon überzeugt bist, dass Produkt XY beim Abnehmen hilft, wirst Du dich nur äußerst schwer von dieser Überzeugung lösen.
Die Abnehm-Spirale
Durch die gesellschaftlichen Schlankheitsnormen, die Verfügbarkeitsheuristik und den Confirmation-Bias bestätigen wir immer wieder unseren Glauben an eine einfache und schnelle Lösung beim Abnehmen. Überall gibt es Angebote, die mit der neuen Wunderlösung werben. Dadurch gelangen viele Menschen, deren Körperform nicht auf ein gesellschaftlich geprägtes Idealgewicht passen möchte, zu dem Glauben, dass irgendwo doch die Lösung für sie warte. Obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse immer wieder bestätigen, dass dauerhafte Gewichtsabnahme eine höchst komplexe und individuelle Geschichte ist, gibt es genug finanzielle Anreize damit zu werben, dass man selbst die Wunderlösung für alle gefunden hätte. Denn die Herstellung und der Vertrieb von Diätprodukten ist ein Milliarden-Geschäft.
Jojo-Effekt, Essstörungen und Zweifel am eigenen Selbstwert stehen auf der anderen Seite der Abnehm-Gleichung.
Wissenschaft contra Abnehmen
Leider sieht man nirgends Werbung für wissenschaftliche Theorien, wie Set Point, Settling Point und andere alternative Modelle. Zudem sorgen die Verfügbarkeitsheuristik und der Confirmation-Bias dafür, dass als Antwort auf solche Theorien sofort Informationen über angeblich erfolgreiche Gewichtsabnahmen und Wundermittel in unserem Denken auftauchen und wir diese für wahr halten. Eine häufige Folge: Wir geben uns selbst die Schuld für unser Scheitern beim Abnehmen. Alle anderen scheinen es zu schaffen, nur wir sind einfach nicht diszipliniert genug.
Gewichtsregulation verstehen
Wie wäre es, wenn das gar nicht so wäre? In einem wissenschaftlichen Positionspapier mit dem komplizierten Namen „Set Points, Settling points und einige alternative Modelle: Theoretische Optionen um die Kombination von Genen und Umweltfaktoren auf die Regulation von Körperfett zu verstehen“ aus dem Jahr 2011 wird den aktuellen wissenschaftlichen Modellen bezüglich Gewichtsregulation auf den Zahn gefühlt. Die Ergebnisse habe ich im Folgenden in möglichst einfacher, zusammengefasster Form dargestellt.
Gewichtsregulation: Set-Point
Das Set-Point-Modell hat seinen Ursprung in Physiologie, Genetik und Molekularbiologie. Es geht davon aus, dass es einen Feedbackmechanismus gibt, der die im Fettgewebe gespeicherte Energie als Set-Point festlegt. Ein Set-Point ist in der Theorie ein bestimmter Wert, z.B. die Menge an Fett in einem Körper, der aktiv aufrecht erhalten wird. Also angenommen Du hast eine bestimmte Menge an Fett in deinem Körper gespeichert und nimmst durch eine Diät fünf Kilogramm davon ab, sagt die Set-Point-Theorie voraus, dass du genau diese fünf Kilogramm Körperfett nach einer gewissen Zeit wieder zunehmen wirst.
Begründung und Lücken des Set-Point-Modells
Laut Set-Point-Modell sendet dein Fettgewebe nach einer Gewichtsabnahme aktive Signale an dein Gehirn und teilt diesem mit, dass Du mehr Energie zu dir nehmen und deinen Energieaufwand reduzieren solltest. Daraufhin senke der Körper seinen Energieaufwand und signalisiere stärkeres Verlangen nach Nahrungsenergie. Probleme hat das Set-Point-Modell jedoch bei der Erklärung, wie sich die Umwelt- und sozialen Einflüsse auf das Gewicht und die Menge an Körperfett auswirken.
Wir können festhalten, dass das Set-Point-Modell lediglich einen Teil der Gewichtsregulation betrachtet. Wo liegt der Rest der Geschichte?
Gewichtsregulation: Settling-Point
Dem Set-Point-Modell wird vorgeworfen, dass es die sozioökonomischen und umweltbedingten Einflussfaktoren vernachlässige. Dass diese Faktoren gar keine Rolle spielen sollen, scheint höchst unwahrscheinlich zu sein. Die Mehrheit der verhaltensorientierten Psycholog*innen und Ernährungswissenschaftler*innen widerspricht daher der Haltung des Set-Point-Modells vehement. Sie vertreten eher ein Erklärungsmodell, welches Settling-Point-Modell genannt wird.
Erklärungsansatz im Settling-Point-Modell
Das Settling-Point-Modell geht davon aus, dass es keine aktiven Kontrollmechanismen des Körpergewichts und -fetts gibt. Stattdessen soll eine erhöhte Energiezufuhr passiv zu einem erhöhten Energieaufwand führen. Andersherum soll eine erniedrigte Energiezufuhr zu einem geringeren Abfluss von Energie führen. Der menschliche Organismus hat nach dem Settling-Point-Modell keine von vornherein festgelegte Zielgröße. Im Gegensatz zum Set-Point-Modell soll der Auf- und Abbau von Gewicht und Körperfett also passiv funktionieren.
Zunehmen in der Weihnachtszeit
Die Menge an Körperfett wäre somit nicht festgelegt. Im Settling-Point-Modell gibt es also keinen Set-Point. Jedoch wäre das Körpergewicht bzw. die Menge an Körperfett passiv an die Größe des Fettspeichers gebunden und zwar auf folgende Art und Weise: Wenn ein Individuum in einer bestimmten Phase des Jahres (z.B. in der Weihnachtszeit) mehr Energie zu sich nimmt als sonst, würde die Menge an Körperfett und sein Körpergewicht zunehmen. Durch die Erhöhung des Körpergewichts müsste die Muskulatur mehr Energie aufwenden, um die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen.
Abnehmen nach der Weihnachtszeit
Sobald das besagte Individuum nach dem Ende der Weihnachtszeit zu seinen alten Gewohnheiten zurückkehrt, sollte sich nach der Settling-Point-Theorie auch sein Körpergewicht und -fettanteil wieder normalisieren. Denn solange das Körpergewicht erhöht ist, sei es auch der alltägliche Energieaufwand. Erst, wenn das Ausgangsgewicht bzw. die Ausgangsmenge des Körperfetts wieder erreicht wäre, gäbe es wieder das alte Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieaufwand.
Diät vs. Gewichtsregulation
Durch eine Diät käme laut Settling-Point-Modell natürlich der entgegengesetzte Effekt zustande. Die Energiezufuhr wird willentlich abgesenkt. Dadurch nähmen Körpergewicht und Körperfettanteil ab. Als Folge würde auch der Energieaufwand sinken. Kehrt das besagte Individuum dann zu seinen alten Gewohnheiten zurück, steige das Körpergewicht wieder auf den ursprünglichen Ausgangspunkt. Dort wäre dann wieder das alte Körpergewicht, die ursprüngliche Fettmenge und der Ausgangswert des Energieaufwands erreicht. Von Außen sähe dieser Prozess exakt so aus, wie ein fester Set-Point, der direkt und aktiv vom Fettspeicher gesteuert würde.
Das Settling-Point-Modell geht zwar nicht von einer feststehenden Menge an Körperfett aus, meint jedoch, dass das ursprüngliche Gleichgewicht sich stets wieder einpendeln würde.
5 Gründe, warum westliche Gesellschaften immer dicker werden
Ein gemeinsames Problem der Erklärungsansätze von Set-Point- und Settling-Point-Modell ist die beobachtbare Tatsache, dass Menschen, besonders in den westlichen Industriestaaten, in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich dicker geworden sind. Zumindest im Durchschnitt. Da wir nicht davon ausgehen können, dass sich unsere Gene in den letzten paar Jahrzehnten fundamental verändert haben, müssen wir also weitere Faktoren mit einbeziehen. Das besagte Positionspapier der „Company of Biologists“ hat fünf Gründe dafür ausgemacht, warum unsere heutige Umwelt dicker macht als die, die es z.B. in den 1970er Jahren gab:
- Die Portionsgrößen sind größer geworden.
- Die Verfügbarkeit von energiedichter Nahrung hat sich vergrößert.
- Eine größere Auswahl bei den einzelnen Mahlzeiten (wir essen an einem Buffet mit großen Auswahlmöglichkeiten automatisch mehr als bei weniger großer Auswahl).
- Die Tendenz häufiger auswärts zu essen, wo die Portionen größer sind. Plus die Beobachtung, dass Menschen beim Auswärts-Essen mit Anderen größere Portionen zu sich nehmen.
- Menschen essen häufiger nebenbei; z.B. beim Fernsehen.
Gewichtsregulation: Kultur und Gesellschaft
Wir können sehen, dass die fünf Faktoren nur sehr bedingt dem individuellen Verhalten zuzurechnen sind. Es ergeben sich aus diesen Faktoren zwar auch individuelle Möglichkeiten zur Selbstregulation. Aber es drängt sich der Eindruck auf, dass die Kultur und Gesellschaft, in der wir leben, einen entscheidenden Einfluss auf unser Verhalten, unseren Körperfettanteil und unsere Körperform besitzen. Die fünf genannten Umweltfaktoren interagieren laut der „Company of Biologists“ mit individuellen psychologischen und wahrscheinlich auch genetischen Faktoren. Wir müssen also verstehen:
Abnehmen und Gewichtsregulation ist nicht einfach nur eine Sache der individuellen Selbstdisziplin.
Das Minnesota Starvation Experiment
Es gibt eine Studie, die als „Minnesota Starvation Experiment“ zu einer gewissen Berühmtheit gelangt ist. In diesem Experiment von 1950 wurden Menschen mit einem „normalen“ Körpergewicht extrem energiearm ernährt. Sie verloren im Laufe des Experiments zeitweise bis zu 25 % ihres Körpergewichts. Laut Set-Point- und Settling-Point-Modelle müsste das Körpergewicht irgendwann ein Plateau erreichen und anschließend wieder, bei freier Nahrungsauswahl, auf sein Ausgangsniveau zurückkehren. Erstere Voraussage erfüllte sich tatsächlich – Das Körpergewicht der Probanden erreichte nach einer gewissen Zeit ein Plateau.
Überfressen als Reaktion auf Verhungern
Als die extrem energiearme Diät jedoch beendet wurde, aßen die Versuchsteilnehmer deutlich mehr als vor der Diät. Sowohl ein angeblicher Set-Point als auch fest verwurzelte Gewohnheiten wurden transzendiert. Die Teilnehmer nahmen signifikante Mengen an Körpergewicht und Fett zu. Sie über(fr)aßen sich regelrecht. In einer Analyse des Minnesota-Experiments fanden Wissenschaftler*innen heraus, dass sowohl die Reduktion von Körperfett als auch, in geringerem Umfang, die Reduktion von fettfreier Masse an dem Über(fr)essen Schuld waren. Aber nicht ausschließlich. Der Einfluss psychologischer Faktoren war ebenfalls groß und sorgte für die Etablierung eines neuen Gleichgewichts.
Die Gefahr zu Verhungern
Die Set-Point- und Settling-Point-Theorien können nicht vollständig von der Hand gewiesen werden, da es eine Zielgröße zu geben scheint (Körperfett und fettfreie Masse), die unser Organismus in einem gewissen Rahmen aktiv oder passiv aufrecht zu erhalten versucht. Allerdings vernachlässigen beide Modelle die psychologischen Mechanismen, die uns vor dem Verhungern schützen. Erfahren wir die Gefahr des Verhungerns (z.B. durch eine rigide Diät) entfalten sich kraftvolle biologisch-psychologische Signale, die zum Diät-Brechen und Überessen anregen.
Das Resultat ist oftmals ein höheres Körpergewicht als vor der Diät.
Das Problem mit den alten Theorien
Die komplexe Gleichung der Gewichtsregulation ist nicht vollständig verstanden, aber die Körpermasse und der evolutionäre, psychologische Schutzwall vor dem Verhungern scheinen mit allen Teilen dieser Gleichung verbunden zu sein. Die Theorien zu Set-Point- und Settling-Point können einige Beobachtungen nicht ausreichend erklären. Zum Beispiel, wie unsere individuellen genetischen Unterschiede zu den Variationen unserer Körper beitragen. Warum werden manche Menschen im gleichen Umfeld dick und andere nicht? Diese Frage können weder Set-Point- noch Settling-Point-Modell umfassend erklären.
Gewichtsregulation braucht bessere Theorien
Wir haben ja bereits kurz angedeutet, dass der Set-Point seinen Ursprung in Physiologie, Genetik und Molekularbiologie hat. Die Vertreter des Settling-Point-Modells hingegen betrachten Gewichts- und Körperfragen aus einer völlig anderen Perspektive. Sie denken über soziale, ernährungs- und Umweltfaktoren nach. Dabei scheinen sich die Verfechter*innen der konkurrierenden Erklärungsansätze kaum miteinander auszutauschen. Die Trennung zwischen Set-Point- und Settling-Point-Theorie ist künstlich herbeigeführt. Schließlich wissen wir, zumindest theoretisch, dass sich genetisch-biologische Einflüsse und Umweltfaktoren gegenseitig beeinflussen.
Wenn wir Gewichtsregulation verstehen wollen, benötigen wir Theorien, die sowohl die physiologisch-genetisch-molekularbiologische Sicht als auch die verhaltenspsychologisch-ernährungs-basierte Sicht auf die Dinge vereinen.
Alternative Modelle zur Gewichtsregulation
Im besagten wissenschaftlichen Papier der „Company of Biologists“ werden auch zwei alternative Modelle zu Set- und Settling-Point vorgestellt. Eins davon ist das „duale Interventions-Punkt-Modell“. Dieses passt sehr zu meiner persönlichen Erfahrung. Als erstes betrachten wir jedoch das zweite Modell mit dem Namen „General Model of intake Regulation“ von de Castro und Plunkett aus dem Jahr 2002. Dieses Modell vereint bestimmte Aspekte aus Set- und Settling-Point- Theorien und bezieht körperliche, soziale, psychologische, umwelt- und diätetisch-bedingte Faktoren mit ein. Es scheint einleuchtend, dass, wenn all diese Faktoren Gewichtsregulation beeinflussen, es keine einfache Lösung in Form einer Crash-Diät geben kann.
Jede Diät greift in dieser Hinsicht zu kurz und ist deswegen zum Scheitern verurteilt.
Computer-basierte Simulation
In die besagte Studie zum Modell von de Castro und Plunkett ist eine Computer-basierte Simulation eingeflossen, in der bestimmte Faktoren, die die Energieaufnahme betreffen, verändert wurden. Dabei kam die Studie zu einem unschönen Ergebnis. Wenn die Energieaufnahme verändert wurde, führten die Berechnungen langfristig stets zu einem höheren Körpergewicht als vor der Veränderung. Wie viel höher das Körpergewicht im Anschluss an die Diät war, hing von genetischen Faktoren ab. Aber das Modell lässt uns eine Schlussfolgerung ziehen:
Die diätetische Reduktion der gegessenen Nahrungsenergie, führt langfristig zu einem höheren, nicht zu einem niedrigeren Gewicht.
Limitierungen des „General Model of intake Regulation“
Das Modell stellt einen fixen Set-Point stark in Frage, weil die Berechnungen zeigen, dass sich durchaus ein neues, höheres Level an Körpergewicht als Folge des neuen „Gleichgewichts“ einstellen kann. Dadurch erklärt dieses Modell auch zum Teil die steigenden Zahlen von sogenanntem Übergewicht und Adipositas in den westlichen Industriegesellschaften. Als Nachteil des Modells sehen die Autor*innen, dass in der Computersimulation nur die Energiezufuhr verändert wurde. Der Einfluss eines veränderten bzw. erhöhten Energiebedarfs durch körperliche Aktivität wurde hier leider nicht untersucht.
Das duale Interventions-Punkt-Modell
Das duale Interventions-Punkt-Modell basiert nicht auf der Annahme eines einzigen Fixpunkts. Stattdessen gibt es eine untere und obere Grenze, ab der eine physiologische Regulation des Körpergewichts bzw. des Körperfetts einsetzen soll. Somit unterscheidet sich das „ duale Interventions-Punkt-Modell“ in zwei zusammenhängenden Aspekten vom Set-Point-Model. Es gibt in dem Modell erstens keine fest definierten Zielpunkte bzgl. des Körpergewichts und Körperfetts. Außerdem geht das duale Interventions-Punkt-Modell von zwei unterschiedlichen Kontrollpunkten aus, die unabhängig voneinander reguliert werden. Es soll also einen Bereich geben, in dem das Gewicht schwanken kann, ohne dass der Organismus einen Ausgleich anstrebt.
Individuelle Unterschiede
Wie groß der Bereich zwischen unterem und oberem Kontrollpunkt ist, kann laut dem dualen Interventions-Punkt-Modell je nach Individuum unterschiedlich groß sein. Das Modell bezieht also genetische Unterschiede zwischen Individuen mit ein. Gleichzeitig geht es davon aus, dass ein und dasselbe Individuum in unterschiedlichen Umgebungen unterschiedliche Level an Körpergewicht und Körperfett aufweisen kann. Es bezieht also auch die Umweltbedingungen mit ein.
Das duale Interventions-Punkt-Modell scheint mir das umfassendste Modell zur Gewichtsregulation zu sein, das uns im Moment zur Verfügung steht.
Anschauliche Beispiele zur individuellen Gewichtsregulation
Als Beispiel könnte man sich zwei Menschen (Person A und Person B) mit einem Körpergewicht von 90 Kilogramm vorstellen. Gehen wir davon aus, dass beide Personen gleich groß sind und einen BMI aufweisen würden, der medizinisch als „Adipositas“ bewertet wird. Stellen wir uns vor, dass Person A von ihrer Genetik eher zu einem höheren Gewicht neigt. Sagen wie, der untere „Interventions-Punkt“ liegt bei 89 Kilogramm und der obere „Interventions-Punkt“ bei 100 Kilogramm Körpergewicht. Person B dagegen hat seinen unteren „Interventions-Punkt“ bei 78 Kilogramm, während sein oberer „Intervention-Point“ bei 92 Kilogramm gesetzt ist.
Totalitäre Betrachtung beim Abnehmen
Von Außen würde ein Beobachter, z.B. ein Arzt, beiden Personen empfehlen, abzunehmen. Während Person A schon fast an seinem unteren „Interventions-Punkt“ kratzt und mit seiner Genetik unmöglich nachhaltig weiter abnehmen könnte, ist Person B fast an seinem oberen Gewichtslimit. Für Person A wäre somit die beste Strategie sich zu entspannen und sich selbst dafür auf die Schulter zu klopfen, dass sie ihr Gewicht bereits soweit reguliert hat, wie es ihr möglich ist. Eine weitere Kasteiung könnte Person A langfristig sogar dicker machen. Zumindest nach dem Modell von de Castro und Plunkett. Für Person B wäre es hingegen durchaus möglich, ihr Körpergewicht zu reduzieren. Vorausgesetzt, Person B möchte dies überhaupt.
Gewichtsregulation aus evolutionärer Sicht
Evolutionär-Philosophisch würde das „duale Interventions-Punkt-Modell“ in Kombination mit dem „General Model of intake Regulation“ durchaus Sinn ergeben. Denn es wäre sinnvoll für das Überleben, eine physiologische Grenze zu definieren, ab dem Verhungern aktiv verhindert wird. Gleichzeitig war es in der Vergangenheit überlebenswichtig, nicht so viel Körpergewicht zuzulegen, dass man nicht mehr vor seinen Feinden flüchten konnte und dadurch eher gefressen wurde. Da wir Menschen Werkzeuge und Waffen erfunden, das Feuer entdeckt, uns also immer besser vor natürlichen Feinden zu schützen gelernt haben, wurde die Gefahr des Gefressen-Werdens immer weiter reduziert.
Warum die Gene zum Dicksein vielleicht gar nicht so übel sind
Einige Menschen haben im Laufe der vielen Jahrtausende, in denen die Gefahr des Gefressen-Werdens immer weiter reduziert wurde vermutlich Genmutationen entwickelt, die die obere Grenze der Gewichtskontrolle „aufgeweicht“ haben. In Kombination mit den modernen Diäten wurden Menschen durchschnittlich immer dicker. Dadurch erklären die beiden Modelle sehr schlüssig, wie die Gewichtszunahme in den westlichen Industriestaaten zu Stande kommt. Die individuelle Genetik gibt auch eine gute Begründung dafür ab, warum manche Menschen in diesem sogenannten adipogenen Umfeld dick werden und andere nicht. Unfairer Weise werden dicke Menschen in unserer Kultur stigmatisiert und diskriminiert. Ganz unabhängig davon, ob sie weiter abnehmen könnten oder nicht.
Aber was passiert, wenn die nächste Eiszeit kommt? Vielleicht gewinnen die dicken Gene langfristig das evolutionäre Rennen und schützen die Menschheit vor dem Aussterben. Wer weiß das schon?
Neurowissenschaftliche Unterschiede zwischen „wollen“ und „mögen“
Doch zurück zur Wissenschaft. Genauer gesagt, machen wir einen kleinen Ausflug in die Neurowissenschaft. Die Autoren des „Set Points, Setting points und einige alternative Modelle“ – Artikels beziehen am Ende ihrer Betrachtungen die biologisch-psychologische Sicht verstärkt mit ein. Sie konstatieren, dass Nahrung nicht nur Energie und Nährstoffe liefert, sondern auch mit dem Belohnungssystem interagiert. Sie erwähnen dabei den neurowissenschaftlich beobachteten Unterschied zwischen „Wollen“ und „Mögen“.
Wollen und Mögen bei Hunger
Wollen und Mögen finden in unterschiedlichen Gehirnbereichen statt, die sich teilweise überlappen. Wenn wir hungrig sind und Verlangen nach Nahrung verspüren, also etwas wollen, sind die Gehirnareale „Hypothalamus“ und „Striatum“ besonders aktiv. Wenn wir hungrig sind und etwas mögen, wird dies hingegen in einem Gehirnbereich mit dem Namen „Nucleus Accumbens“ signalisiert.
Wollen und Mögen bei Sättigung
Möglicherweise kennst Du auch den Zustand, in dem Du nach Nahrung Verlangen verspürst, obwohl Du bereits gesättigt bist. Ich kenne diesen Zustand auf jeden Fall gut. Wenn Du dann etwas willst, ist ein Gehirnbereich namens „Pallidum“ aktiv. Wenn Du jedoch in sattem Zustand etwas magst, finden die Signale in „Striatum“, der „Insula“ und im „cingulären Kortex“ statt. Sowohl die Gehirnsignale des Wollens als auch des Mögens sagen Nahrungsaufnahme voraus.
Essen aus der Lust heraus
Wir Menschen essen, wie Du vielleicht schon an dir selbst beobachtet hast, nicht nur aus Hunger, sondern auch aus Lust oder der Vermeidung von Unlust. Besonders bei dickeren Menschen mit sogenannter „viszeraler Adipositas“, führt Stress überdurchschnittlich oft zu übermäßigem Essen. Dieses stressinduzierte Essen hat nichts mit einem Mehr-Wollen zu tun, sondern wird durch ein geringeres Erlebnis des „Mögens“ ausgelöst. Sich Momente des „Mögens“ zu verschaffen, scheint im Umkehrschluss für eine erfolgreiche und befriedigende Gewichtsregulation unerlässlich zu sein. Schon alleine aus dem Grund, dass wir unser Belohnungssystem in die Gleichung einbeziehen müssen.
Daher gibt es neuere Hypothesen, die empfehlen, dass Menschen einfach essen sollten, was sie wollen und lediglich auf die passende Uhrzeit und ein echtes Hungergefühl achten sollten. Hier setzt der Trend zum intuitiven Essen an.
Philosophische Annäherung an Gewichtsregulation
Betrachten wir die gesammelten Erkenntnisse bezüglich verschiedener Modelle zum Thema Gewichtsregulation, ergibt sich ein fünfteiliges Bild.
- Die Modelle, die sich mit dem Thema „Gewichtsregulation“ beschäftigen, sind ziemlich jung.
- Es gibt keine einheitlichen Erkenntnisse, die abschließend beantworten können, wie Gewichtsregulation funktioniert (oder eben nicht).
- Es gibt zwei wissenschaftliche Lager. Auf der einen Seite, das Physiologisch-Genetisch – Molekularbiologisch-orientierte Lager. Auf der anderen Seite das Verhaltenspsychologische-ernährungs-orientierte Lager. Beide Lager stehen kaum im Austausch.
- Gewichtsregulation verläuft über Monate und Jahre, nicht Stunden und Tage.
- Es spielen sowohl biologisch-physiologische Prozesse als auch psychologische- und Belohnungsaspekte eine Rolle bei der Gewichtsregulation.
Trennung von Körper und Psyche
Betrachten wir dieses fünfteilige Bild ergeben sich interessante Implikationen und Interpretationsmöglichkeiten. Insbesondere Punkt drei zeigt, dass auch im Bereich Gewichtsregulation eine implizite Trennung von Körper und Psyche vorgenommen wird. Das Physiologisch-genetisch-molekularbiologisch-orientierte Lager findet daher auch bariatrische Operationen super, während das verhaltenspsychologisch-ernährungs-orientierte Lager diese körperlichen Eingriffe eher ablehnt.
Die Trennung zwischen Körper und Psyche ist künstlich. Wir müssen lernen uns als ganzen Organismus anzuerkennen.
Intuitives Essen – Individuelle Gewichtsregulation
Insbesondere zum Ende des Artikels gehen die Autoren auf die Idee ein, dass Nahrung sowohl die körperlichen Bedürfnisse als auch das Belohnungssystem im Gehirn befriedigen müsse. Daher schlagen sie vor, Menschen einfach essen zu lassen, was sie sich wünschen, um beiden Aspekten gerecht zu werden. Die Idee ist, Hunger und Sättigung sich automatisch regulieren zu lassen. Diese Idee legt nahe, dass das intuitive Essen mehr ist als ein neuer Trend. Das intuitive Essen bringt uns zwar nicht unbedingt näher an ein vermeintliches Idealgewicht, lässt uns aber in dem Körper leben, der individuell zu uns passt.
Gewichtsregulation in einer veränderten Umwelt
Hier stellt sich die philosophische Frage, wie wir uns in der modernen Umwelt mit dem stetig verfügbaren Nahrungsangebot und den niedrigen Anforderungen an körperliche Aktivität verhalten sollten. Die Veränderungen durch wissenschaftlichen Fortschritt, Wohlstand und ein ausgeklügeltes System der Nahrungsbereitstellung für fast alle (in den westlichen Industriestaaten), ist sicherlich nichts wofür wir uns bemitleiden sollten. Ganz im Gegenteil. Wir leben im Schlaraffenland. Allerdings kommt man trotzdem nicht umhin, sich zu fragen, ob dieses Schlaraffenland kompatibel ist mit unseren Genen aus grauen und rauen Urzeiten. Das Problem scheint in der Schnelligkeit der Veränderungen zu liegen.
Gewichtsregulation im Schlaraffenland
Unser Gehirn und unser Körper sind nicht für das Leben des 21. Jahrhunderts konzipiert. Wir benötigen möglicherweise Unterstützung und Lernhilfen, um in dieser Welt die für uns persönlich richtigen Entscheidungen zu treffen. Im gewissen Maße sitzen wir zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite leben wir im Schlaraffenland und unser Belohnungssystem möchte am liebsten nichts anderes als schnelle Befriedigung. Auf der anderen Seite müssen wir uns mäßigen, um die Früchte des Fortschritts genießen zu können. Genau hier kommen qualifizierte Ernährungsberatung und Ernährungstherapie als individuelle Unterstützung zum Einsatz.
Philosophie über das Belohnungssystem
Okay. Wir haben geklärt, dass wir zwischen den Stühlen sitzen. Aber wie löst qualifizierte Ernährungsberatung das Problem? Unser Belohnungssystem steht auf schnelle Befriedigung. Und jeder Mensch, der genug zum Leben hat, weiß genau, wie das eigene, individuelle Belohnungssystem beruhigt werden kann. Eine, für alle gangbare Lösung kann es nicht geben. Qualifizierte Ernährungsberatung und Ernährungstherapie können daher keine allgemeingültigen Versprechungen machen. Das ist ein großer Nachteil gegenüber unseriösen Angeboten, die sich nicht schämen, das Blaue vom Himmel zu versprechen.
Seriösität verhindert das Verkaufen von Versprechungen bezüglich Gewichtsregulation und Abnehmen.
Gewichtsregulation und das adaptive Belohnungssystem
Wenn unser Belohnungssystem gar nicht adaptiv wäre, hätten unsere Vorfahren vermutlich nicht überleben können. In Zeiten von Hunger und Überlebenskampf gibt es eben nicht viele schnelle Belohnungen. Oder hatten sie dann einfach mehr Sex? – Naja, wer extrem hungert hat auch keine Libido. Lebenserhalt steht vor Reproduktion – ergibt evolutionär gesehen ja auch Sinn. Oder noch besser, haben unsere Vorfahren vielleicht insgesamt ihre Triebe in viel stärkerem Maße ausgelebt? – Möglich, aber das schloss dann wohl auch Mord, Totschlag und Vergewaltigung mit ein. Mir persönlich gefällt eine Zivilisation, die ihre Mitglieder*innen vor Gewalt schützt. Aber sorgen die Regeln der Zivilisation möglicherweise dafür, dass wir mehr Belohnungen über Nahrung und Genussmittel benötigen als unsere Vorfahren? Einfach dadurch, dass wir unsere Triebe stärker und häufiger im Zaum halten müssen?
Evolutionäre Adaption
Möglicherweise ist es so. Vielleicht sind wir Menschen allerdings auch so adaptiv, dass wir uns sehr schnell an ein neues Umfeld gewöhnen können. Dafür spricht sowohl individuell als auch kulturell einiges. Wenn wir über Generationen hinweg in Schnee und Eis leben, wie die Inuit, gewöhnt sich unser Körper an eine Ernährung mit viel tierischem Fett und wir vertragen Kälte besser. Auch die Psyche der Inuit muss sich auf kurze Tage eingestellt haben. Andersherum können Menschen auch in den heißesten Regionen der Erde leben und gedeihen. Wir Menschen sind sowohl individuell als auch kulturell genial darin, uns an die gegebenen Lebensbedingungen anzupassen.
Die Preisfrage ist: Ob und wenn ja, wie adaptiv ist unser individuelles und kulturelles Belohnungssystem?
Verzichten und völlern
In Zeiten von Hunger und Mangel gab es wahrscheinlich insgesamt viel weniger Reize für das Belohnungssystem. Wenn es dann allerdings überraschend ein Überangebot an Nahrung, Sex und anderen belohnenden Reizen aus der Umwelt gab, haben die Menschen vermutlich auch nicht groß gezögert – und ihre Bedürfnisse befriedigt was das Zeug hält. Das, worauf verzichtet werden musste, wurde in Momenten der Fülle vermutlich extrem überkompensiert. Aus diesem Blickwinkel scheint es berechtigt folgende Frage zu stellen:
Ist dem Verzicht, ob auf Nahrung oder andere Objekte des Verlangens, nicht automatisch die Nebenwirkung der Überkompensation implizit, in dem Moment, wo die Möglichkeit wieder besteht? Zum Beispiel am Ende einer Diät?
Gewichtsregulation und Abnehmen. Ein Fazit
Schlussendlich ist Abnehmen und Gewichtsregulation anhand normativer Vorschriften wie Verbote bezüglich bestimmter Nahrungsmittel, dem Body-Mass-Index und Schlankheitsideale nicht langfristig hilfreich. Menschen, die zum Dick-Werden neigen, sollten lernen sich selbst kennen und schätzen zu lernen. Naja, am besten sollten das alle Menschen lernen. Wir leben in einem unvergleichlichen Wohlstand. Das sollten wir genießen. Egal ob wir dick oder dünn sind. Wir Menschen sind zu unterschiedlich um beim Essen Regeln für alle aufzustellen. Für manche Menschen ist Abnehmen eine sinnvolle Möglichkeit. Für andere eine unerfüllbare Sisyphos-Arbeit.
Gewichtsregulation liegt im Innen und Außen
Gewichtsregulation liegt sowohl im Außen als auch im Innen. Anders ausgedrückt: Um deinen individuellen, persönlichen Weg zu deiner Definition des guten Lebens zu gestalten, solltest Du keinen Sprint in Form einer kurzfristigen Diät einlegen. Dieser liegt im Außen (indoktrinierte Verhaltensänderung bezogen auf Ernährung und Bewegung). Der Weg zu deinem subjektiv guten Leben führt über einen Prozess des Lernens. Auf der einen Seite über die Wirkung des Außen (Nahrung, Bewegung, etc.) auf das Innen (Körper + Psyche = Organismus). Auf der anderen Seite über die Wirkung des Innens (Bedürfnisse, Glaubenssätze, andere kognitive Prozesse) auf das Außen (Verhalten).
Gewichtsregulation und Qualifizierte Ernährungsberatung
Immer wieder erreichen mich Anfragen von Menschen, die sich erhoffen, dass eine qualifizierte Ernährungsberatung ihre Gewichtsprobleme lösen könnte. Aber leider funktionieren qualifizierte Ernährungsberatung und Ernährungstherapie nicht über Versprechungen und Garantien. Ob du dein Gewicht reduzieren solltest oder langfristig überhaupt dazu in der Lage bist, kann dir niemand von Außen sagen. Eine qualifizierte Ernährungsberatung kann dir jedoch dabei helfen, herauszufinden, ob eine Gewichtsabnahme für dich Sinn ergibt. Sie kann dir darüber hinaus dabei helfen, Frieden mit dir, deinem Essverhalten und deinem Körper zu schließen. Eventuell verlierst Du bei diesem Prozess sogar Gewicht. Aber wer dir dies von Vornherein garantiert, dem solltest Du nicht trauen. Traue lieber dir und deinen Gefühlen.
Ist eine wertschätzende Beziehung dir und deinen Bedürfnissen gegenüber nicht viel wertvoller als ein idealgewichtiger Körper?
Quellen:
Internetquellen:
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-norm-des-schlanken-koerpers.950.de.html?dram:article_id=136855
- https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/verfuegbarkeitsheuristik-53928
- https://de.statista.com/prognosen/313660/herstellung-von-diaet-nahrungsmitteln-umsatz-in-deutschland
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3209643/
- http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.64.1522&rep=rep1&type=pdf
- https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-03/uebergewicht-adipositas-ernaehrung-bmi-entwicklung/seite-2
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173582/umfrage/entwicklung-des-body-mass-index-in-deutschland-seit-1980/
- https://psycnet.apa.org/record/1951-02195-000
Weitere Quellen:
- Daniel Kahneman – Schnelles Denken, Langsames Denken; 1. Auflage; 2017
- Michel Foucault – Freiheit und Selbstsorge; Interview 1984 und Vorlesung 1982; 1985
- Christoph Klotter – Adipositas als wissenschaftliches und politisches Problem; 1990
- Christoph Klotter – Identitätsbildung über Essen, Ein Essay über „normale“ und alternative Esser; 2016
- Mark F. Bear, Barry W. Connors, Michael A. Paradiso – Neurowissenschaften – Ein grundlegendes Lehrbuch für Biologie, Medizin und Psychologie; 4. Auflage; 2018
- David G. Myers – Psychologie; 3. Auflage; 2014
- Sabine Merta – Schlank! – Ein Körperkult der Moderne; 2008
- Antonio Damasio – The Strange Order of Things: Life, Feeling, and the Making of Cultures; 2018
- Rutger Bregman – Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit; 2019
- Francois Jullien – Sein Leben nähren, Abseits vom Glück; 2006