Dicksein in der Moderne

Dicksein in der Postmoderne

Dicksein

Dicksein öffnet einer der gravierendsten gesellschaftlichen Stigmatisierungen unserer postmodernen Zeit Tür und Tor. Menschen, die nicht der Gewichtsnorm entsprechen oder einen Körper haben, der anders geformt ist, als „normal“ werden von Kleinauf in Schubladen einsortiert. Obwohl wir wissenschaftlich wissen, dass Dicksein verschiedene Gründe hat – von genetischen, über psychologische bis hin zu sozio-kulturellen – wird die „Schuld“ am Dicksein meist dem Individuum zugeschrieben. 

Dicker als die Norm

Wer dicker ist als die Norm wird in unserer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft mit weiteren Vorurteilen konfrontiert, die mit dem Körpergewicht per se überhaupt nichts zu tun haben. So wird dickeren Menschen eine Identität zugewiesen, die in den unterschiedlichsten Bereichen, von Familie und Freundeskreis über Schule, Arbeit bis hin zum wissenschaftlichem Diskurs, so lange bestätigt wird, bis sich die Betroffenen diesem gesellschaftlichen Bild unterwerfen. Wir können hier von einem groß angelegten Golem-Effekt sprechen.

Dicksein ist nicht gleich ungesund

Die Lösung für das Dicksein liegt in der Auffassung unserer Gesellschaft darin, dass das betroffene Individuum „sich am Riemen reißt“ und endlich aufhört so viel zu essen, sich mehr bewegt – kurzum seine Gewohnheiten ändert. Dabei spielen jedoch verschiedene biologische, psychologische und sozio-kulturelle Faktoren eine Rolle bei der Gewichtsregulation. Nicht jeder Mensch, der dicker ist als die Norm, lebt ungesund. Und viele dicke Menschen können schlichtweg nicht weiter abnehmen.

Damit will ich sagen, dass dein Gewicht und der Wert deiner Person nichts miteinander zu tun haben. Jeder, der meint, deinen Körper von Außen beurteilen zu können, verhält sich idiotisch.

BMI und anderer grober Blödsinn

Der BMI dient als Maß zur Beurteilung von „Richtig und Falsch, „Gesund und ungesund“. Zwischen den Extremen „Schwer adipös“ und „Schwer magersüchtig“ gibt es viele Mischformen, die wiederum kulturabhängig, ab einer bestimmten Grenze zum krankhaften Verhalten erklärt werden. So wird einem Individuum in unserer modernen Gesellschaft mit einem BMI von 26 bereits das Gefühl vermittelt, gesundheitliche Probleme mit seinem Gewicht zu haben. Gesellschaft, Familie und Freunde können im Individuum die Überzeugung reifen lassen, dass es ein schlechtes Gewissen zu haben hat. Ob dieses Gewicht zum Körpertyp und der Genetik des betroffenen Menschen passt, interessiert da nicht.

Dicksein in früheren Zeiten

Dahingegen war es in den 50iger und 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur Gang und Gäbe, wohlbeleibt zu sein. Es war, zumindest für Männer, die Voraussetzung dafür überhaupt als „echter Mann“ zu gelten. Die Einteilung ist also nicht zwangsweise vernünftig, sondern in höchstem Maße willkürlich.

Was in einer Kultur als „Richtig und Falsch“, als „Gut und Böse“ angesehen wird, ist zwar willkürlich, jedoch nicht irrational. Es geht allerdings nicht um das Wohlbefinden des Einzelnen. In anderen Kulturen gilt Dicksein z.B. als Statussymbol.

Die Ächtung von Dicksein

Die jeweiligen kulturellen Regeln und Verbote haben einen rationalen Kern; meist dienen sie der Kontrolle, dem Ausüben von Macht. Um die animalischen Anteile ihrer Bürger im Zaum zu halten, benötigen Gesellschaften Regeln und Normen. So weiß jeder Mensch, was von ihm erwartet wird und kann seine Willenskraft und Energie dem Erfüllen dieser Normen widmen. Wer sich dabei besonders gut schlägt, wird mit Ressourcen, Optionen und Anerkennung belohnt.

Kontrolle durch Disziplinarmacht

Damit Machtstrukturen sich erhalten können, benötigen sie nach Michel Foucault Technologien, die sich auch auf den Körper beziehen. Früher ächteten diese Machttechnologien unserer Gesellschaft das Ausleben sexueller Bedürfnisse. Aber das ist Old-School-Kirchen-Zeug. Heute erlaubt unsere Kultur grundsätzlich alle Arten von einvernehmlichem Sex zwischen Erwachsenen.

Disziplinarmacht und Essen

Dafür müssen wir heute unsere körperlichen Impulse beim Essen unterdrücken. Stigmatisierung von adipösen Menschen ist gesellschaftlich akzeptiert. Die meisten Menschen tolerieren achselzuckend, dass dickere Menschen gemobbt und diskriminiert werden. Also versuchen viele Frauen und auch immer mehr Männer verzweifelt ein Idealgewicht zu erreichen, das nicht zu ihnen passt. Das ist jedoch eine sinnlose Sisyphos-Arbeit. Denn unsere Körperform und unser Körpergewicht müssen mit unserer Genetik im Einklang sein. Wer sich durch rigide Diäten runterhungert, nimmt dieses Gewicht auch rasch wieder zu.

Was wir mit unserer Zeit und Energie wohl alles anstellen könnten, wenn wir uns nicht ständig mit unnützen Diäten herumschlagen würden?

Was bedeutet Dicksein?

Gewicht und Körperform werden, je nach Kultur und Zeit, unterschiedlich beurteilt. Dabei wird nicht nachgefragt, ob die Gründe für das Körpergewicht genetischer, psychologischer oder soziokultureller Natur sind. Stattdessen definiert unsere Kultur, wie der „optimale“ Körper auszusehen hat und bestimmt ein „Richtig vs. Falsch“. Aber genauso, wie wir über Lebensmittel nicht sagen können, dass sie gut oder böse seien, können wir das auch nicht über Körpertypen sagen. Menschen sind unterschiedlich und das ist gut so.

Wir Ernährungsberater und Ernährungsberaterinnen sind wichtige Akteure beim Aufbrechen dieser Vorurteile

Dicksein und Selbstkontrolle

Heißt das, dass wir einfach alle Selbstkontrolle fahren lassen sollten? Einfach essen, was wir wollen? Dick-Sein und uns damit gut fühlen? Ich schlage vor, diese Fragen nicht kollektiv sondern individuell zu beantworten. Genau an diesem Punkt setzt qualifizierte Ernährungsberatung und Ernährungstherapie an. Erfahrene und kompetente Ernährungsberater unterstützen dich auf deinem individuellen Weg, anstatt dich in die Norm zu pressen.