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Drei Säulen für ein erfülltes Leben

Die drei Säulen für ein erfülltes Leben

Von Freud bis Lévinas: Die drei Säulen für ein erfülltes Leben

Sigmund Freud (1856–1939), der Begründer der Psychoanalyse, soll im Laufe seiner Korrespondenzen und Werke sinngemäß erklärt haben, dass ein Mensch als psychisch gesund gelten könne, wenn er „lieben und arbeiten“ kann. Obwohl dieses Bonmot in zahlreichen Varianten überliefert ist, zeigt sich darin ein zentraler Gedanke aus Freuds Werk: die Anerkennung, dass das Erleben erfüllter Beziehungen (Liebesfähigkeit) und das produktive Schaffen (Arbeitsfähigkeit) entscheidend für die psychische Gesundheit sind.

Freud machte in seinen Schriften immer wieder deutlich, dass der Mensch von inneren Trieben – vor allem dem Sexualtrieb (Libido) und dem Todestrieb – bewegt wird. Die Fähigkeit, diese Kräfte in eine konstruktive Bahn zu lenken, äußert sich in der reifen Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und in sinnstiftender Arbeit. Mit „lieben und arbeiten“ betont Freud somit die zwei wesentlichen Säulen eines seelisch ausgeglichenen Lebens.

Liebesfähigkeit: Mehr als nur Romantik

Unter „Liebe“ verstand Freud nicht ausschließlich romantische oder sexuelle Zuneigung, sondern auch die Fähigkeit, sich auf andere Menschen einzulassen und Bindungen aufzubauen. In der Sprache der Psychoanalyse spricht man häufig vom „Objekt der Libido“, also davon, wie sich unsere innere Energie (Libido) auf andere Personen richten kann.

  • Bindungsfähigkeit und Empathie: Liebesfähigkeit schließt eine tiefe Form von Verständnis, Wertschätzung und Nähe ein. Wer lieben kann, ist bereit, eigene Bedürfnisse zu kommunizieren und gleichzeitig die Bedürfnisse des Gegenübers zu respektieren.
  • Vertrauen und Offenheit: Sich auf jemanden einzulassen, verlangt eine gewisse innere Stabilität und die Bereitschaft, auch Verletzungen zu riskieren. Eine solche Offenheit kann nur entstehen, wenn das Fundament der eigenen Persönlichkeit gefestigt ist.

In diesem Sinne ist Liebesfähigkeit ein Indikator dafür, dass die inneren Konflikte ausreichend bearbeitet sind, um sich anderen Menschen emotional zu öffnen.

Was bedeutet es, arbeitsfähig zu sein?

Arbeitsfähigkeit wird bei Freud nicht nur im Sinne von Erwerbsarbeit oder Broterwerb verstanden, sondern ganz grundsätzlich als produktive Entfaltung der eigenen Kräfte und Potenziale. Hier geht es um die Fähigkeit, etwas zu schaffen oder zu gestalten – sei es im klassischen Berufsleben, in kreativen Tätigkeiten, in der Familie oder in ehrenamtlichen Engagements. Eine Person, die arbeiten kann, fühlt sich in der Lage, etwas Sinnvolles beizutragen und Verantwortung zu übernehmen. In der Freudschen Perspektive ist dies zugleich ein Zeichen dafür, dass die Person ihre inneren Konflikte so weit verarbeitet hat, dass sie Energie nach außen tragen kann und nicht dauerhaft in innere Kämpfe verstrickt ist.

Freuds Aussage, man könne nicht viel mehr von einem gesunden Menschen erwarten, rührt also daher, dass Liebe und Arbeit die beiden großen Säulen des menschlichen Daseins bilden. Wer diese beiden Fähigkeiten in sich vereint, hat eine solide Basis für psychisches Gleichgewicht und ein erfülltes Leben.


Emmanuel Lévinas und der Genuss

Trotz der weiterhin gültigen Bedeutung von „lieben und arbeiten“, zeigt sich in unserer modernen Gesellschaft, die immer stärker auf Individualität setzt, ein weiterer Aspekt: der bewusste Genuss.

Der französische Philosoph Emmanuel Levinas (1906–1995) führt hierzu eine zentrale Idee an: Genuss als Ausdruck unserer Unabhängigkeit. Er betont, dass wir im Moment des Genießens ganz auf uns selbst zurückgeworfen sind. Wir erleben eine Art Rückzug aus der Welt, in der wir sonst ständig mit anderen Personen interagieren und Verantwortung tragen. Beim Genießen verschaffen wir uns Raum, um unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu erfüllen.

Genuss als Demonstration der eigenen Unabhängigkeit

Lévinas formuliert den Gedanken, dass Genuss unsere Art ist, unsere eigene Unabhängigkeit zu demonstrieren. Worauf zielt er damit ab? Genuss ist weit mehr als bloßes Konsumieren oder das flüchtige Befriedigen von Wünschen. Genießen heißt, etwas ganz bewusst als wertvoll und wohltuend zu erfahren – und damit den eigenen Freiraum auszuleben. Wer genießt, nimmt sich die Freiheit, für einen Moment aus den alltäglichen Zwängen und Pflichten auszusteigen und selbstbestimmt zu handeln. In diesem Sinn ist Genuss ein Akt der Selbstbestimmung, ein Ausdruck individueller Lebensfreude und damit auch ein Statement: „Ich bin frei, mich auf diese Erfahrung einzulassen und sie zu gestalten.“

Genuss und Individualisierung

Dieses Verständnis von Genuss als Ausdruck der Unabhängigkeit ist besonders in einer immer stärker individualisierten Gesellschaft von Bedeutung. Während Freuds „Lieben und Arbeiten“ eine notwendige Grundlage für ein stabiles Leben schafft, verleiht Levinas’ Begriff des Genießens dem Leben Tiefe und Eigenständigkeit. Es geht hier nicht nur um hedonistische Vergnügungen. Vielmehr spricht Lévinas von einer fundamentalen Haltung, in der wir bewusst wahrnehmen, wovon wir uns nähren – sei es geistig, emotional oder körperlich.

Genussfähigkeit als dritte Säule unserer Zeit

Führen wir Freuds „lieben und arbeiten“ mit Levinas’ „genießen“ zusammen, ergibt sich eine erweiterte Trias, die unserer gegenwärtigen Gesellschaft gerecht wird:

  1. Liebesfähigkeit: Beziehungen und Bindungen aufbauen, emotionale Tiefe und Verbundenheit zulassen.
  2. Arbeitsfähigkeit: Sinnstiftend tätig sein, sich selbst verwirklichen und kreativ Verantwortung übernehmen.
  3. Genussfähigkeit: Den Moment bewusst erleben, die eigene Unabhängigkeit spüren und Lebensfreude kultivieren.

Während Freuds zwei Säulen eine stabile Basis für psychische Gesundheit und sozialen Zusammenhalt bilden, verleiht der bewusste Genuss unserem Leben eine zusätzliche Dimension: Er stärkt das Gefühl von Autonomie und Identität.

Persönliche Reflexion: Wie steht es um deine „drei Säulen für ein erfülltes Leben“?

Abschließend möchten wir dich als Leser:in einladen, einen Moment innezuhalten und folgende Fragen zu den drei Säulen für ein erfülltes Leben reflektieren:

  • Liebesfähigkeit: Wie präsent ist dein zwischenmenschliches Engagement im Alltag? Fühlst du dich anderen Menschen nahe, oder nimmst du eher Distanz ein?
  • Arbeitsfähigkeit: Findest du in deiner Arbeit Sinn und Erfüllung? Oder erlebst du sie hauptsächlich als Mittel zum Zweck?
  • Genussfähigkeit: Gönnst du dir bewusst Zeiten, in denen du genießt – sei es ein köstliches Essen, ein schöner Spaziergang oder einfach nur ein Moment der Ruhe?

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann dir helfen, die eigene Balance zwischen Liebe, Arbeit und Genuss neu auszuloten. In einer Welt voller Möglichkeiten und Anforderungen ist es wertvoll, sich regelmäßig zu vergewissern, dass nicht nur Lieben und Arbeiten, sondern auch Genießen zu einem sinnerfüllten Leben beiträgt. Falls du dabei Unterstützung benötigst, kann unsere nachhaltige Ernährungsberatung und Ernährungstherapie dir helfen.

Zusammenfassung: Die drei Säulen für ein erfülltes Leben

Sigmund Freuds Idee, dass jemand, der lieben und arbeiten kann, weitgehend gesund sei, behält in einer modernen Gesellschaft weiterhin Gültigkeit. Doch insbesondere mit Blick auf Emmanuel Lévinas’ Gedanken zum Genuss und unserer gestiegenen Individualisierung erweitert sich das Bild: Neben der Liebesfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit ist auch unsere Fähigkeit zum bewussten Genießen ein wesentlicher Baustein für ein erfülltes, eigenständiges und doch verantwortungsbewusstes Leben. Indem wir die drei Aspekte „lieben, arbeiten und genießen“ ausgewogen in unser Leben integrieren, bleiben wir einerseits in Kontakt mit anderen und der Gesellschaft, wahren aber auch unsere eigene Identität und Autonomie.

So wird klar, dass der Mensch nicht allein über Beziehungen und berufliche Erfüllung gedeiht, sondern auch durch die Fähigkeit, für sich selbst kraftspendende und sinnstiftende Momente zu schaffen. Indem wir lieben, arbeiten und genießen, verbinden wir uns mit anderen und mit der Welt – und bleiben gleichzeitig wir selbst.

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Philosophie und Ernährung

Philosophie und Ernährung: Eine Einführung

Philosophie und Ernährung: Eine tiefgründige Verbindung

Einleitung

Auf den ersten Blick mögen Philosophie und Ernährung wie zwei völlig unvereinbare Themen erscheinen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass beide Bereiche eine enge Verbindung eingehen, wenn es darum geht, die menschliche Existenz zu verstehen. Sowohl die Philosophie als auch die Ernährungswissenschaft versuchen, grundlegende Fragen zur Gesundheit, zum Glück und zum guten Leben zu beantworten.

In diesem Blog-Beitrag gehen wir einen ersten Schritt, um die Überschneidungen von Philosophie und Ernährung nachzuvollziehen Wir betrachten unter anderem:

  • Die Rolle der Ernährung für ein gutes Leben gemäß philosophischer Denkweisen
  • Wie philosophische Ideen die Ernährungswissenschaft und Ernährungsleitlinien beeinflussen
  • Die Ethik der Lebensmittelproduktion, Nachhaltigkeit und des Konsums
  • Die kritische Anwendung von Vernunft bei der Bewertung von Ernährungsaussagen

Wenn wir diese Zusammenhänge verstehen, können wir fundiertere Entscheidungen über unsere Ernährung treffen und so unser Wohlbefinden steigern. Weiterlesen

Frieden (mit dem Essen schließen)

Frieden (mit dem Essen schließen)

Das Thema ‚Frieden‘ könnte kaum relevanter sein als heute. Weltweit flammen Konfliktherde auf und sorgen für menschliches Leid. Neben dieser weltpolitischen Dimension lässt sich Frieden allerdings auch als eine Angelegenheit zwischen Menschen sowie politischen Gruppen innerhalb von Ländergrenzen betrachten. Außerdem gibt es auch eine innere Dimension des Friedens. Den heutigen Blogbeitrag möchte ich nutzen, um eine Verbindung zwischen diesen drei Dimensionen aufzuzeigen und den Versuch wagen, über das Themenfeld ‚Frieden‘ systematisch nachzudenken. Dabei werde ich beim Thema ‚Essen‘ starten und möchte die werten Leser*innen einladen, mich bei diesem Essay gedanklich zu begleiten. Weiterlesen

Lebenskunst - Elefantenreiten in 7 Schritten

Lebenskunst – Elefantenreiten in 7 Schritten

Oftmals sind wir so in unserem Alltag gefangen, dass es schwer fällt, uns mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Aber wer sich selbst besser verstehen möchte, kommt nicht darum herum. Denn die Entstehungsgeschichte unserer Gehirne und damit unserer Spezies prägt unser Denken und Fühlen noch heute. Um also das eigene Verhalten in modernen, hochtechnisierten Zeiten zu verstehen und in gewissem Maße zu modulieren, müssen wir auch begreifen wieso es so geworden ist, wie es ist. Die Überlegungen im hier vorliegenden Essay beschäftigen sich mit der Frage nach dem (individuell) guten Leben – es geht um Lebenskunst. Auch im Audioformaten verfügbar. Weiterlesen

Von der Ernährungswissenschaft zu Ernährungsempfehlungen in 6 Schritten

Ernährungsempfehlungen – 6 Schritte

Ernährungsempfehlungen in 6 Schritten

Im folgenden werde ich mich der Frage widmen, wie eigentlich Ernährungsempfehlungen entstehen. 
Die Antwort auf die gestellte Frage scheint intuitiv auf der Hand zu liegen. Ernährungsempfehlungen, wie die 10 Regeln der DGE oder die Ernährungspyramide der USDA sind durch objektive Wissenschaft entstanden und rein rationaler Natur, oder? Den Weg von der Ernährungswissenschaft zu offiziellen, normativen Ernährungsempfehlungen werden wir im heutigen Blogbeitrag in sechs Schritten nachvollziehen. Anschließend nehmen wir eine kritische ernährungspsychologische und -philosophische Perspektive ein. Viel Spaß beim Lesen und danke für deine Aufmerksamkeit. Weiterlesen

Essprobleme - Emanuels Geschichte

Essprobleme – Emanuels Geschichte

Essprobleme

Traditionell gehen wir in unserer Gesellschaft davon aus, dass Ernährung als mehr oder weniger abgetrennter Teil vom restlichen Leben zu betrachten sei. Bei Emanuel ist das auf jeden Fall anders. Seine Essprobleme begannen mit der Trennung seiner Eltern. Ein Lösungsweg wurde erst dann erkennbar, als er seine eigene Zerrissenheit überwinden konnte. Die Geschichte von Emanuel und seinen Essproblemen wirft eine philosophische Grundfrage auf: Ist Essverhalten eine Sache des bewussten Wissens und Handelns oder eine tief mit unserer Identität verstrickte, großenteils unbewusst ablaufende Angelegenheit? Weiterlesen

Der essende Mensch - Homo manducare

Der essende Mensch – Homo manducare

Der essende Mensch

Die Wirtschaftswissenschaften haben ihre eigene Frankenstein-Geschichte geschrieben. Diese Geschichte handelt vom Homo öconomicus. Einem Menschenschlag, der sich dem vermeintlich Rationalen verschrieben hat. Lust- und gefühlsfeindlich, ist radikale Nutzenmaximierung seine neue Religion. Dabei wird keine Sphäre des menschlichen Lebens ausgelassen. Auch die Nahrungsaufnahme ist längst Teil des Einflussbereichs vom Homo öconomicus geworden. Wir sprechen dann von „gesunder Ernährung“ als Zufuhr der „objektiv richtigen“ Nährstoffe. Dabei kann eine rein rational-ökonomische Beschreibung niemals adäquat beschreiben, was Essen ausmacht. Nebenbei sei erwähnt, dass es „die eine gesunde Ernährung für alle“ nicht gibt. Wer das Phänomen „Essen“ wirklich verstehen möchte, muss sich dem essenden Subjekt, dem Homo manducare zuwenden. Also: Wer oder was ist der essende Mensch? Weiterlesen

Körperfett - ein unterschätztes Organ

Körperfett – ein unterschätztes Organ

Körperfett – ein unterschätztes Organ

Wenn wir im gesellschaftlichen Diskurs über Körperfett sprechen, dann nahezu ausschließlich im negativen Sinne. In besagtem Diskurs wird stets darüber gefachsimpelt, wie man das Körperfett möglichst schnell, effektiv und langanhaltend loswerden könne. Trotz der Vielzahl verfügbarer Diäten ist Körperfett für die meisten Abnehmwilligen der absolute Endgegner. Es gilt als hässlich, nervig und ungesund. Aber was wäre, wenn Fett auch positive, schützende Eigenschaften hätte? In diesem Blogbeitrag widmen wir uns dem unterschätztesten Organ im menschlichen Körper und schneiden die Frage an, wie das Körperfett einen so schlechten Ruf bekommen konnte. Weiterlesen

Sein Leben nähren

Sein Leben nähren

Sein Leben nähren

Was heißt es eigentlich sich zu ernähren? Im gesellschaftlichen Diskurs ist Ernährung in vielen Kreisen ein absolutes Trendthema. Egal, wo man hinschaut oder zuhört, ob digital oder analog, überall wird über die „richtige“ Art und Weise sich zu ernähren gesprochen. Dabei wird das Wort „richtig“ auf verschiedene Arten und Weisen verwendet und dient dann dem Erreichen von Zielen. Es geht dann um Nachhaltigkeit, Gesundheit und Schlankheit. Ernährung wird dadurch künstlich mit Bedeutung aufgeladen. Aber was bedeutet es eigentlich ursprünglich, sein Leben zu nähren? Weiterlesen

Gewichtsregulation und Abnehmen

Gewichtsregulation und Abnehmen

Gewichtsregulation und Abnehmen

Im heutigen Blogbeitrag werden wir die sensiblen Themen „Abnehmen“ und „Gewichtsregulation“ in den Blick nehmen. Es soll hier jedoch keineswegs darum gehen, die „10 neuesten Abnehmtricks“ zu enthüllen. Stattdessen werden wir kritisch betrachten, ob nachhaltig und langanhaltend Gewicht zu verlieren überhaupt eine realistische Möglichkeit ist. Wie denkt die Wissenschaft über Gewichtsregulation? Welche Hinweise können wir aus der Ernährungspsychologie, der Neurowissenschaft, der Biologie und vielleicht sogar der Philosophie ziehen? Wenn du dich schon immer gefragt hast, warum gerade bei dir das Abnehmen nie langfristig funktioniert, könnte dieser Blogbeitrag zu deinem inneren Frieden beitragen.

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