Der essende Mensch - Homo manducare

Der essende Mensch – Homo manducare

Der essende Mensch

Die Wirtschaftswissenschaften haben ihre eigene Frankenstein-Geschichte geschrieben. Diese Geschichte handelt vom Homo öconomicus. Einem Menschenschlag, der sich dem vermeintlich Rationalen verschrieben hat. Lust- und gefühlsfeindlich, ist radikale Nutzenmaximierung seine neue Religion. Dabei wird keine Sphäre des menschlichen Lebens ausgelassen. Auch die Nahrungsaufnahme ist längst Teil des Einflussbereichs vom Homo öconomicus geworden. Wir sprechen dann von „gesunder Ernährung“ als Zufuhr der „objektiv richtigen“ Nährstoffe. Dabei kann eine rein rational-ökonomische Beschreibung niemals adäquat beschreiben, was Essen ausmacht. Nebenbei sei erwähnt, dass es „die eine gesunde Ernährung für alle“ nicht gibt. Wer das Phänomen „Essen“ wirklich verstehen möchte, muss sich dem essenden Subjekt, dem Homo manducare zuwenden. Also: Wer oder was ist der essende Mensch?

Der essende Mensch – Einleitung 

Eine Erklärung gleicht vorne weg. Mit dem Versuch den Homo manducare zu skizzieren, verfolge ich keineswegs das Ziel objektiver Wahrheitsfindung (Whatever this is). Es ist viel mehr eine persönliche Philosophie, die sich aus meinem Erfahrungsschatz heraus entwickelt. Ja, sie entwickelt sich nach wie vor und wird in diesem Blogbeitrag sicherlich nicht ihren Endpunkt erreichen. Sie entsteht aus meinen eigenen Lebenserfahrung und wird durch Literatur, die ich gelesen habe, aktuell lese und zukünftig lesen werde, ergänzt. Meine persönliche Philosophie des essenden Menschen lebt und verändert sich fortwährend. Der Homo manducare ist für mich ein Ideal- aber das lässt sich natürlich auch anders sehen. Es ist eben mein persönliches Ideal.

Wenn der werte Leser oder die werte Leserin hieraus auch nur ein paar Gedankenanstöße zieht und seien sie ablehnender Natur, habe ich mein Ziel erreicht. 

Essen als Spiegel unserer Entwicklungsgeschichte 

Essen ist spezifisch menschlich. Es verbindet uns sowohl mit unserer anthropologischen Vergangenheit als auch mit unserer kulturell-gesellschaftlichen und familiären Prägung. Auch unsere individuelle Entwicklungsgeschichte und Identitätsfindung sind eng mit den spezifischen Vorlieben und Abneigungen am Esstisch verknüpft. Mensch-Sein ist untrennbar mit dem Akt des Essens verbunden und im Gegensatz zum kalt anmutenden Begriff „Ernährung“ ist Essen emotional gesteuert und gefühlsbetont. Daher möchte ich in diesem Blogbeitrag den Versuch wagen, dem Homo öconomicus den Homo manducare – den essenden Menschen entgegen zu stellen.

Der essende Mensch – individuelle Entwicklungsgeschichte?

Individualismus wird in unserer Zeit groß geschrieben. Doch bereits im Mutterleib spielen die Verhaltensweisen der Eltern und somit die Umwelt eine erhebliche Rolle für die individuelle Entwicklung des heranwachsenden Fötus. Die aktuellen epigenetischen Forschungsergebnisse legen sogar nahe, dass der Lebenswandel von Müttern und Vätern weit vor Beginn der Schwangerschaft Einfluss auf nachfolgende Generationen nehmen könnte. Das hieße, dass auch im individuellen Leben erworbene Eigenschaften an die nächste Generation vererbt werden können. Aber wenn diese erworbenen Eigenschaften auch auf unsere Entscheidungsfindung Einfluss nehmen, wer ist denn dann eigentlich für die „individuellen“ Entscheidungen (im Bezug auf Ernährung und Gesundheit) verantwortlich? Vater und Mutter? Großvater und Großmutter? Ötzi?

Der essende Mensch ist kein Individuum

In gewissen Teilen unserer Gesellschaft ist es üblich, das Individuum alleine für seine Gesundheit, seine Entscheidungen und deren Folgen verantwortlich zu machen. Aber eigentlich sollte es doch auf der Hand liegen, dass die individuelle Entwicklung von deutlich mehr abhängig ist, als dem eigenen Willen. Man bekommt bereits über Gene und Epigenetik eine Menge in die Wiege gelegt. Darüber hinaus sind die „individuellen“ Gene, die wir von unseren Eltern erben, in einen größeren gesellschaftlich-kulturellen Kontext eingebettet. Es ist eine „Geburtenlotterie“ in welche Familien/Gesellschaftsstrukturen/Epochen/Länder wir hinein geboren werden. All diese Faktoren beeinflussen, wie der einzelne Mensch isst, was er genießen kann und was ihm zuwider ist. 

Der essende Mensch ist ein Individuum

In anderen Teilen unserer Gesellschaft wird die oben beschriebene Argumentation genutzt, um das Individuum zu entlasten. Im Extremfall bedeutet das, dem einzelnen Menschen die Verantwortung für sein Leben komplett abzusprechen. Aus der Erkenntnis, dass kurzfristige Entscheidungen bereits unbewusst getroffen werden bevor sie unser Bewusstsein erreichen, wird hier geschlossen, dass wir keinerlei freien Willen hätten. Das wir ausgeliefert sind. In dieser Argumentation wird dem essenden Menschen die Fähigkeit des Menschen selbst zu entscheiden, genommen. Plötzlich ist der Mensch prinzipiell nichts weiter als ein instinktgesteuertes Tier. Das wird der menschlichen Fähigkeit abzuwägen und zu wählen in meinen Augen nicht gerecht. 

Wir Menschen sind nicht vollständig frei und auch nicht vollständig determiniert. Wir sind partiell frei und partiell determiniert.

Einflüsse auf den essenden Menschen 

Die Faktoren, die den essenden Menschen beeinflussen sind vielfältig und teilweise subtil. Die auf das menschliche Essverhalten wirkenden Faktoren lassen sich schematisch in interne und externe Einflüsse unterscheiden, wobei diese nicht klar voneinander zu trennen sind. Mit internen Einfüssen meine ich Gefühle, Empfindungen und Emotionen, die das Individuelle Essverhalten mehr oder weniger stark beeinflussen. Mit der Reifung zum Homo manducare geht die Entwicklung der Fähigkeiten zum lesen, verstehen und folgen dieser internen Einflussfaktoren einher. Dieser Prozess ist ein entscheidender Bestandteil von qualifizierter Ernährungsberatung und Ernährungstherapie.

Externe Einflüsse auf den essenden Menschen?

Die bereits erwähnten genetischen und epigenetischen Faktoren stellen sowohl interne als auch externe Einflüsse auf das menschliche Essverhalten dar. Sie bilden Mischformen aus, wobei diese Beziehungskonstellation im gewissen Maße auf alle externen Faktoren anzuwenden sind, da diese mentale Repräsentationen im Denken der Individuen darstellen. Die internen und externen Einflussfaktoren sind aufeinander bezogen. So kann eine bestimmte Emotion das eine Individuum zum Essen anregen und beim anderen zur Verweigerung von Nahrungsaufnahme führen. Andersherum kann eine kulturelle Esspraktik am einen Ende der Welt zu Wohlwollen und Genussempfindungen beitragen, während sie am anderen Ende der Welt zu Naserümpfen und Ekel führt.

Die Trennung zwischen internen und externen Einflussfaktoren auf das Essverhalten ist genauso inkonsistent wie die Trennung zwischen Individuum und Gesellschaft.

Esskultur 

Die Esskultur in der sich der Mensch des 21. Jahrhunderts wiederfindet, ist von vielen örtlichen und zeitlichen Variablen geprägt. Ausgehend von gewissen kulturellen Regeln und Normen, halten wir bestimmte Dinge für implizit gegeben. Zum Beispiel, dass es in Ordnung ist Schweinefleisch zu essen. Oder, dass es sehr seltsam wäre, Insekten oder sein Haustier zu verspeisen. Diese kulturellen Bedingungen sind keineswegs überall gleich und unterliegen historischen Veränderungen. In der Generation meines Opas war es normal mit seinen Ziegen und Hühnern in einem Haushalt zu leben sowie diese beizeiten zu schlachten und zu verspeisen. Wobei Katze und Hund auch damals moralisch unantastbar waren- zumindest beim Essen. Diese moralische Grenze gilt im asiatischen Raum hingegen als im höchsten Maße irrational. 

Regionale Traditionen

Auch im innerdeutschen Raum variiert die Esskultur teilweise erheblich. Zwar essen wir vermutlich allesamt keine Hunde und Katzen. Aber während der Gedanke an Kieler Sprotten und Labskaus einigen Norddeutschen das Wasser im Mund zusammen laufen lässt, treibt die damit verbundene Vorstellung vermutlich den meisten Nicht-Kielern den Mageninhalt in nach oben gerichtete Gefilde. Die Zubereitung des Pfälzer Saumagen, das als Leibgericht von Ex-Kanzler Helmut Kohl gilt, ist für die meisten Nicht-Pfälzer wohl ein absolut abstoßendes Unterfangen. Genauso wie Kohl. Die Emotion des Ekels hat viel mit dem zu tun, was wir gewohnt sind. Wenn wir dann auf eine Esskultur treffen, die uns fremd ist, neigen wir intuitiv zur ablehnenden Haltung.

Wir sind als Tiere Allesfresser. Aber als Menschen sind wir von unserer Esskultur geprägt, was auch im gängigen Satz „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“ erkennbar wird.

Familiäre Gewohnheiten 

Die regional gereiften Traditionen übernehmen Menschen intuitiv um sie dann in familiären Strukturen zu ganz eigenen, emotional tief bedeutsamen Essgewohnheiten heranreifen zu lassen. So wird dann das Frühstücksei zum festen Bestandteil des Sonntagmorgens, das Schokoladeneis mit dem Sommerspaziergang verschmolzen oder das Bier beim Fußball unverzichtbar. Begeht man dann eine dieser Gewohnheiten ohne das zugehörige Lebensmittel, fühlt sie sich plötzlich bedeutungsleer an. Manchmal essen wir bestimmte Speisen auch nur, um bewusst oder unbewusst die Erinnerung an eine geliebte Person oder Situation am Leben zu erhalten. 

Essen ist Gefühl

Wie Martha C. Nussbaum in ihrem Buch „Gerechtigkeit oder Das gute Leben – Gender Studies“ hervorhebt, werden Gefühle traditionell mit Weiblichkeit assoziiert. Zumindest „weiche“ Gefühle wie Liebe, Mitgefühl und Empathie. Das ist im großen und ganzen schade. Nicht zuletzt für die Männer, die über das Bier beim Fußball ja eigentlich auch nicht mehr wollen, als die Zugehörigkeit zu ihren Freunden oder, meist männlichen, Familienmitgliedern zu fühlen. Es ist zwar durchaus einleuchtend, dass in Zeiten von Krieg und Kampf „weiche“ Gefühle verdrängt werden mussten. Aber sollten 75 Jahre Frieden in Europa nicht langsam reichen, um auch in uns Männern wieder Platz für „weiche“ Gefühle zu schaffen?

Der essende Mensch als Gefühlswesen 

Der Homo manducare fühlt unabhängig von Geschlechterzugehörigkeit. Beim gemeinsamen Essen mit Familie und Freunden geht es um Gefühle der Zugehörigkeit und Genuss. Der essende Mensch ist sich darüber bewusst, dass bestimmte Lebensmittel und Speisen dazu dienen, mit seiner Vergangenheit und den damit verbundenen Gefühlen in Kontakt zu treten. Es ist für mich stets eine wunderschöne Erfahrung die leuchtenden Augen meiner Klient*innen zu sehen, wenn sie sich daran erinnern, wie ihre engsten Bezugspersonen ihnen ihr Lieblingsessen zubereiteten. Das Essen von Oma schmeckt halt von Oma am besten. Da können andere dem Rezept noch so genau folgen. 

Essen ist so viel mehr als nur die koordinierte Aneinanderreihung von Rezeptschritten oder eine Kombination bestimmter Nährstoffe und Zutaten.

Der isolierte Mensch

Das Gegenstück des durch Essen mit sich, der Vergangenheit und seinen Mitmenschen verbundene Mensch ist bei näherer Betrachtung der Homo öconomicus. Dieser miese Verräter der Menschlichkeit macht auch vor der privaten Sphäre des Essens nicht halt. Dort wird dann die gemeinsame Familienmahlzeit durch das hastige Verschlingen einer genau abgestimmten Nährstoffmischung ersetzt. Bevorzugt neben dem Arbeiten oder Autofahren. Hauptsache keine Zeit verschwenden. Dieser Umgang mit Essen isoliert den Menschen von sich selbst, seinen (sozialen) Bedürfnissen und seiner anthropologischen Geschichte.

Die Geschichte des essenden Menschen

Der essende Mensch ist eigentlich der (über)lebende Mensch. Ohne die Fähigkeit zur präzisen Kommunikation und Kooperation wäre der Mensch niemals an die Spitze der Nahrungskette gelangt. Am Lagerfeuer wurde dann gemeinsam beim Essen die Grundlage von (Ess-)Kultur gelegt. Zu Ende gedacht heißt das, dass ohne unsere Gruppenzugehörigkeit all die Errungenschaften, die uns heute eine niemals dagewesene Lebensmittelauswahl und -sicherheit beschert haben, niemals möglich gewesen wären. Und genau in dem Moment unserer anthropologischen Geschichte, in dem wir endlich das haben was sich Menschen seit Anbeginn der Zivilisationsgeschichte erträumen- nämlich genug zu essen, entscheiden sich viele Menschen dazu, emotional isoliert zu leben und ein „Leben als Maschine“ zu führen. Beziehungsweise darin zu funktionieren. 

Der essende Mensch als Zweck

Im kantianisch angehauchten Sinne könnte man sagen, dass Essen stets Mittel zum Zweck der menschlichen Existenz war. Jäger und Sammler arbeiteten, um ausreichend Nahrung heranschaffen zu können, um ihre Liebsten und sich selbst zu ernähren. Mit der Zähmung des Feuers konnten sich daraus (Ess)-Kulturen entwickeln. Aus dieser Perspektive haben wir es heute als menschliche Art geschafft. Es werden grundsätzlich genug Nahrungsmittel produziert, um uns alle satt zu machen. Die Regale im Supermarkt sind voll und wir hätten potenziell genug Zeit um unseren einzigartigen Wohlstand zu genießen. Doch seltsamerweise wird genau in diesem Moment der Geschichte Essen als Mittel für ganz andere Zwecke eingespannt. Da kann man sich fragen:

Als Mittel zum Zweck von was? Um eine Effizienz- oder Profitsteigerung zu erreichen? Um seine ach so besondere Identität zu demonstrieren?

Der essende Mensch in der Spätmoderne

Nun wäre es illusorisch davon auszugehen, dass wir uns individuell einfach dazu entscheiden könnten, den Gesetzen der spätmodernen Gesellschaft zu entfliehen. Wir sind verdammt zur Selbstverwirklichung und damit hängt zusammen, dass wir uns den Gesetzen der spätmodernen Arbeitswelt unterordnen müssen. Zumindest partiell. Effizienz und Profit sind in unserer heutigen Welt wichtige Taktgeber. Eine individuelle Identität ist keine Wahl gegen die man sich einfach entscheiden kann, sondern Voraussetzung um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu dürfen. Ob es uns gefällt oder nicht. Das menschliche Leben findet auch heute nicht im Schlaraffenland statt. Allerdings ist die Nahrungsmittelsicherheit und -auswahl der Part des spätmodernen Lebens, der dem Schlaraffenland am nächsten kommt. 

Die Extreme der Spätmoderne

Wie können wir dem spätmodernen Leben, das voll ist mit den Maximen von Identitätsfindung, Effizienz und Profit, angemessen begegnen? Auf dem Spektrum der Möglichkeiten lässt sich sowohl das Extrem der Verweigerung finden, das mit dem Sinnbild des Sozialschmarotzers beschrieben werden kann, der sich in der virtuellen Welt verliert. Das andere Extrem ist der überambitionierte Karrieremensch. Sinnbildlich veranschaulicht im Sportwagenfahrer, der sich morgens bei Geschwindigkeitsüberschreitung im fahrenden Auto rasiert und seinen Proteinshake herunterwürgt.

Ich möchte behaupten, dass zwischen diesen beiden Extremen der Homo manducare isst.

Wo bleibt der essende Mensch?

Der von mir skizzierte Homo manducare befindet sich zwischen den Extremen. Als verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft fügt er sich partiell in die Anforderungen des Wirtschaftslebens ein. Gleichzeitig schafft er sich jedoch Momente der Ruhe, der Genüsse und der Lebensfreude. Wo ließen sich diese Momente besser verwirklichen, als dort wo das seit dem Mittelalter erträumte Schlaraffenland mit der Realität in Kontakt tritt – am Esstisch? Dort trifft der essende Mensch auf eine Vielfalt an sinnlichen Genüssen. Nicht nur dadurch, dass er essen kann was er möchte- einfach dadurch, dass es materiell vorhanden ist. Sondern auch und gerade, weil er diese Lebens- und Gaumenfreunden mit seinen Mitmenschen teilen kann. Zum Beispiel durch die kulturelle Errungenschaft der Kochkunst.

Die Selbstverwirklichung der menschlichen Art entfaltet sich am reich gedeckten Esstisch und in guter Gesellschaft. 

Der essende Mensch als Individuum

Bei näherem Hinsehen schafft der Homo manducare mehr als nur die kurze Flucht aus dem Alltag. Es geht nicht darum für kurze, aber gedehnte Momente aus dem Alltagsleben zu entschlüpfen, sondern dieses zu gestalten. Das Zelebrieren des Essens und dem damit verbundenen Genuss ist in meinen Augen angewandte Philosophie. Es gesteht dem spätmodernen Leben seine harte Realität zu und begegnet dieser mit dem Genuss seiner positiven Konsequenzen- der schier unfassbaren Lebensmittelauswahl spätmoderner Tage. Dabei lässt Essen auch das Gefühl von Individualität zu, indem der essende Mensch sich seinen eigenen, ganz besonderen Speiseplan schaffen kann. Er kann einzelne Speisen vollständig ablehnen oder sich nur aus einer gewissen Auswahl von Lebensmitteln bedienen. 

Homo manducare – der Ernährungsphilosoph

In meinen Augen ist der essende Mensch ein Ernährungsphilosoph. Er ist sich darüber bewusst, dass das menschliche Leben ein hartes ist. Ist sich bewusst, dass Essen stets mit der Vernichtung von biologischem Leben einhergeht. Er ist sich darüber im Klaren, welcher unbestreitbare zivilisatorische Fortschritt mit einem gutgedeckten Esstisch einhergeht und würdigt diesen mit einer Bejahung seiner Lebenssituation. Es ist Lebensbejahung durch Genuss, nicht durch Überschwang und Völlerei. Die praktische Vernunft hat ihren Platz am Tisch, aber nicht das letzte Wort. Sie sitzt direkt gegenüber des lustorientierten Tieres im Menschen. Beide zusammen können zu einer diskursiven Balance finden, die zu einem lebenswerten Dasein führen kann. 

Der essende Mensch ist der spätmoderne Philosoph – ein Ernährungsphilosoph. 

Der essende Mensch – Fazit 

Als essende Menschen, also als Ernährungsphilosoph*innen können wir uns nicht einfach nur als Individuen betrachten. Wir sind uns bewusst, dass unser Wohlstand, gemessen am Grad der Lebensmittelauswahl und -sicherheit nur durch komplexe historische Prozesse, geniale Erfindungen und ausgeklügelte Systeme ermöglicht wird. Der essende Mensch ist sich sowohl seinem Glück als auch dem Preis dieses Glückes bewusst. Genau deswegen isst er und bekennt sich zum Genuss. In diesem Genuss, der nach Lévinas die Demonstration von Unabhängigkeit ist, verbindet sich der essende Mensch mit dem Genuss anderer und kann sich daran erfreuen.

Quellen

https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/epigenetik-essgewohnheiten-schlagen-sich-im-erbgut-nieder-3319.php

https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19635/homo-oeconomicus 

Antonio Damasio – The Strange Order of Things; 2018

Christoph Klotter – Einführung in die Ernährungspsychologie; 2007

Christoph Klotter – Adipositas als wissenschaftliches und politisches Problem; 1990

Christoph Klotter – Identitätsbildung über Essen, Ein Essay über „normale“ und alternative Esser; 2016

Daniel Kahneman – Schnelles Denkend langsames Denken; 2017

Emmanuel Lévinas – Totalität und Unendlichkeit; 2014

Hartmut Rosa – Resonanz; 2016

Martha C. Nussbaum – Gerechtigkeit oder Das gute Leben Gelder Studies; 2018

Michel Foucault – Freiheit und Selbstsorge; Interview 1984 und Vorlesung 1982; 1985

Yuval Noah Harari – Eine kurze Geschichte der Menschheit; 2015