Die Maschine Mensch

Die Maschine Mensch

Die Maschine Mensch

Als Julien Offray de La Mettrie 1747 sein Hauptwerk „Die Maschine Mensch“ veröffentlichte, löste er damit heftige Widerstände aus. Er musste sogar aus seinem damaligen Heimatland, den Niederlanden fliehen. Von Meinungs- und Kunstfreiheit wurde damals in Europa noch nicht so viel gehalten. La Mettrie hatte sich dem damals geltenden Moralkodex widersetzt, indem er die Existenz Gottes bestritt. Dazu gehörte auch, Seele und Körper nicht als voneinander getrennte Entitäten zu betrachten. Aus dieser Überzeugung resultierte auch sein provokanter Buchtitel, dass der Mensch eine Maschine sei.

Die moderne Maschine Mensch

Unsere Sprache sowie deren zeitgenössisches Verständnis der Ausdrücke, Bezeichnungen und impliziten Bedeutungen prägen unsere erlebte Realität. Wenn wir La Mettrie verstehen wollen, müssen wir dies unbedingt beachten. La Mettrie hatte als Arzt ein sehr modernes Verständnis der körperlichen Vorgänge und betrachtete sie mit wissenschaftlicher Exaktheit, Neugier und Begeisterung. Wer heute „Die Maschine Mensch“ liest wird sich zwar sicherlich nicht in den Zeitgeist von 1747 hineinversetzen können, aber eins wird deutlich: 

Julien Offray de La Mettrie besaß eine immense Hochachtung vor dem Leben und den natürlichen Vorgängen.

Die Maschine Mensch von heute

Wenn heute von menschlichen Maschinen gesprochen wurde, bezieht sich diese Bezeichnung auf un- bzw. übermenschliche Leistungen. Ein Jugendlicher meint dann zum Beispiel anerkennend, dass jemand nahezu übermenschliche körperliche Attribute aufweise. Jemand, der besondere sportliche Leistungen erbringt oder besonders muskulös und durchtrainiert aussieht, ist dann eine „echte Maschine“. Bei näherem Hinsehen hat sich der Maschinenbegriff in den letzten 270 Jahren also erheblich verändert. 

Maschinen funktionieren

In Zeiten von La Mettrie waren Maschinen nicht in dem Maße im Alltag präsent wie heute. Der Großteil aller körperlichen Arbeiten musste von Menschen im Schweiße ihres Angesichts erledigt werden. Der Großteil der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig. Maschinen waren nicht selbstverständlich und wurden vermutlich in der Bevölkerung mit viel Bewunderung bedacht. Im Gegensatz dazu sind Maschinen heute omnipräsent, normal und funktional. Sie haben effizient zu funktionieren. Funktioniert eine Maschine nicht reibungslos, regen wir uns darüber auf und ersetzen sie durch eine funktionalere Maschine.

Menschen leben

La Mettrie lehnte sich gegen Dogmen der Kirche auf und versuchte, das Wunder des Lebens aus einer materialistischen, aufgeklärten Sicht zu erfassen. Doch er wäre wohl niemals auf die Idee gekommen, vom Menschen die Funktionalität zu erwarten, die wir heute von Maschinen fordern. Er versuchte die Menschen von der moralischen Last zu befreien, ein Leben zu führen, das nur das Leben nach dem Tod im Sinn hat. Er versuchte Genüsse und Gelüste ins Diesseits zu integrieren und verfolgte das edle Ziel des Glücks für alle Menschen. 

Menschen sind nicht effizient

Ich vermute, dass La Mettrie aufgrund seiner Einstellung dem menschlichen Lebensgenuss gegenüber, die heutige auf den Menschen bezogene Maschinenvorstellung rigoros verurteilt hätte. Im Wirtschaftsleben versuchen Menschen heute in Hinsicht der Effizienz mit den modernen Maschinen zu konkurrieren. Dabei ist dieser Kampf völlig aussichtslos, wie schon das Schachduell von Deep Blue gegen Kasparov 1996 gezeigt hat. In Sachen mechanischer Kraft, Effizienz und schnellen Berechnungen schlagen (intelligente) Maschinen uns Menschen gnadenlos. 

Die Maschine Mensch von heute

Heute wäre es für uns Menschen möglich, den Maschinen die lästigen Aufgaben der Effizienz zu übertragen und mehr Zeit in den Genuss des Lebens zu stecken. Angelegenheiten des Genusses, der tiefen Gefühle und der Freude am Kreieren und Schaffen unterscheiden uns Menschen auch von den intelligentesten Maschinen und werden es auch immer tun. Maschinen sind nun mal funktionaler als Menschen und im Wettkampf um diese Funktionalität werden wir angesichts des Mooreschen Gesetzes jedes Jahr weiter abgehängt. 

Aber in Angelegenheiten des Genussempfindens und der Lebensfreude hängen wir jede Maschine locker ab.

Vom Verlierer zum Gewinner

Wir verlieren den Wettkampf der Effizienz gegen die Maschinen. Die Niederlage ist nicht mehr aufzuhalten. Aber am Ende dieses Wettkampfs könnten wir dennoch als die großen Gewinner dastehen. Denn harte körperliche Arbeit war unter La Mettrie noch der entscheidende Faktor für das Überleben. Die meisten Menschen von heute werden als Arbeitskräfte bald nutzlos sein, weil ihre Fähigkeitsbereiche von Maschinen besser erledigt werden können. 

Die schönen Angelegenheiten des Lebens

Stattdessen könnten wir unsere Zeit mit den schönen Angelegenheiten des Lebens füllen. Doch Genuss, ästhetisches Empfinden, Neugier u.ä. müssen gelernt, geschult und gefördert werden. Sie müssen gesellschaftlich, politisch und kulturell verankert werden. Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Buch „Homo Deus„, wie eine hochtechnisierte Postarbeitsgesellschaft auch zur Dystopie werden. 

Die große philosophische Frage lautet: 

Welchen Stellenwert werden wir dem Humanismus geben, wenn das Gros der menschlichen Arbeitskraft keinen Wert mehr hat?