Der Salat von Oma(r)

Der Salat von Oma(r)

Essgeschichten – Vorbemerkung zur neuen Kategorie

Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass das was die Menschen glauben, was ich beruflich tue und das was ich tatsächlich tue, zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe sind. Ernährungsbildung, -beratung und -therapie kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie die Menschen da abholt wo sie stehen. Wie das konkret aussehen kann, möchte ich über Geschichten aus meinem Berufsleben vermitteln. Identitäten werden dadurch geschützt, dass die Namen, Orte und Handlungen so verändert werden, das niemand das Gefühl bekommt, es ginge um ihn oder sie persönlich. Viel Spaß mit der neuen Kategorie „Essgeschichten“. Heute gibt’s die erste Geschichte von Omar und dem Salat von Oma. 

Ernährungsbildung und Salat

Vor Beginn der Corona-Pandemie war ich an einem Projekt beteiligt, bei dem mit 8-14-jährigen Kindern bzw. Jugendlichen Ernährungsbildung stattfinden sollte. Die Ernährungskurse fanden über einen längeren Zeitraum einmal wöchentlich statt und waren freiwillig. Es lässt sich leicht vorstellen, dass Aufgaben die für Achtjährige richtig kniffelig sind, für 14-jährige eine ziemlich langweilige Angelegenheit sein können. Außerdem ist der Übergang in die Pubertät meist damit verbunden, dass Kinder, insbesondere die kleineren Jungs als ziemlich nervig empfunden werden.

Lassen sich die Bedürfnisse von allen Beteiligten angemessen berücksichtigen? 

Stimmungen sind wichtig

Dabei fiel mir in der dritten Stunde auf, dass Omar, ein 14-jähriger Junge zwar anfangs gerne mitmachte und das gemeinsame Kochen genoss. Außerdem zeigte er sich geschickt und außergewöhnlich kompetent. Am Ende der zweiten Stunde wirkte er schon leicht genervt und in der dritten Stunde meckerte er eigentlich die ganze Zeit nur rum. Die Stimmung im ganzen Kurs drohte zu kippen. Ich fragte mich, was da eigentlich gerade passierte und suchte das Gespräch mit Omar.

Oma(r)s Geheimnis

Auf Nachfrage erzählte Omar mir, dass die kleineren Kinder ihm auf die Nerven gingen und deswegen überlegen würde, ob er überhaupt wiederkommen wollte. Sie seien immer so laut und könnten die meisten Sachen nicht, obwohl sie eigentlich kinderleicht seien. Ich sagte ihm, dass er in seiner Entscheidung frei wäre, das ich mir jedoch freuen würde, wenn er dabei bliebe. Ich fragte ihn, warum er denn überhaupt kommen würde. Daraufhin erzählte Omar mir, dass seine Oma früher oft für ihn gekocht habe. Jetzt dürfte er zu Hause gar nicht mehr kochen, weil sein Vater meinte, Jungen machen so etwas nicht.

Dialog mit Omar

Obwohl es bei ihm familiär traditionell üblich war, dass die Frauen für die Essenszubereitung zuständig seien, habe er Omar es stets genossen mit seiner Oma zusammen kochen zu dürfen. Deswegen würde er auch immer noch wiederkommen. Weil er so gerne kochen würde. Aber im Kurs wäre ihm oft langweilig und das ärgere ihn. Ich hakte nach: „Was würdest du denn brauchen, um Spaß zu haben an den Kursen?“ „Hmm, ich weiß nicht.“ druckste Omar etwas herum. Ich wartete kurz ab und er ergänzte: „Meine Oma hat früher immer ein ganz bestimmtes Salatdressing gemacht, das fand ich immer total lecker. Aber ich weiß nicht mehr wie es genau geht.“ 

Mut machen

„Ach komm“ machte ich ihm Mut. „Probieren geht über studieren. Wollen wir es so machen, dass du einen Einkaufszettel schreibst und dir drei Jüngere aussuchst und dann geht ihr zum Supermarkt um die Ecke?“ Omar strahlte mich an: „Wirklich?“ „Klar, bring mir einfach den Bon und das Wechselgeld mit.“ antwortete ich. Im Laufe der Zeit ist mir klargeworden, wie wichtig es ist den Kindern und Jugendlichen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Menschen haben die treffsichere Fähigkeit, unsere Erwartungen zu füllen. Wenn wir ihnen Mut machen und vertrauen, können sie ihre Talente und Potenziale entfalten.

Salat selbstständig einkaufen

So zogen sie los und kamen nach ein paar Minuten mit den Zutaten wieder, die sie eingekauft hatten. Im Anschluss bereiteten sie einen selbstkreierten Salat mit dem Dressing von Omars Oma zu. Die nächsten 45 Minuten sah man die vier konzentriert an ihrem eigenen Projekt arbeiten. Omar gab Tipps und half, alle schnippelten die Zutaten für den Salat und Omar ließ immer wieder die Jüngeren abschmecken. Nach drei oder vier Versuchen kam er auch zu mir: „Herr Jaschinger, wollen Sie mal probieren?“

Probieren und loben

Natürlich probierte ich gerne und fand das Dressing tatsächlich ziemlich lecker. Ein bisschen zu süß für meinen Geschmack, aber mit einer schmackhaften Note. Auf jeden Fall individuell und durch Kreativität entstanden. Ich spürte, wie stolz er war. Ab dem Zeitpunkt zeigte er sich den Jüngeren gegenüber viel wertschätzender und geduldiger gegenüber als in den ersten beiden Stunden. Omar ging richtig in seiner Rolle auf und die Jüngeren waren ebenfalls ganz in ihrem Element. Ganz selbstständig wuschen sie anschließend die benutzten Materialien ab und richteten den Salat schön an. 

Alle arbeiten und essen gemeinsam

Währenddessen hatten mein Kollege und ich bereits mit den anderen Kindern die Hauptmahlzeit und den Nachtisch zubereitet. Nur noch schnell den Tisch decken und guten Appetit. Der Salat und das restliche Essen stießen auf positive Resonanz. Am allerbesten schmeckt´s, wenn man mitmachen darf. Das Salatrezept, das Omar mit seiner Entourage zubereitet hatte, schmeckte fast wie von Oma. Aber natürlich nur fast. Schlussendlich hatten alle davon profitiert, dass Omar so viel Verantwortung übernommen hatte. Am allermeisten natürlich er selbst. 

Weiterer Kursverlauf und Resümee

Omar kam ab jetzt immer zu den Ernährungskursen. Er brachte eigene Ideen mit, kümmerte sich um die jüngeren Kinder und machte uns als Betreuenden das Arbeiten leichter. Dabei verfeinerte er seine Fähigkeiten und begann sich Gedanken um seine berufliche Zukunft zu machen. „Vielleicht werde ich später Koch oder studiere dieses Ökotropho-Dings-Da.“ sagte er einmal zu mir. Ob er das am Ende tun wird, weiß ich nicht. Was ich jedoch weiß ist, dass Omar Spaß an den Kursen hatte und viel gelernt hat. 

Welche Auswirkungen Gesundheitsförderung und Prävention auf das individuelle Leben von (jungen) Menschen hat, lässt sich schwer messen. Aber das es sinnvoll ist, liegt für jemanden der solche Erfahrungen macht wie ich mit Omar, auf der Hand.