Hunger und Sättigung
Hunger und Sättigung verstehen: Zurück zur natürlichen Körperintelligenz
In einer Welt, in der Nahrung buchstäblich an jeder Ecke verfügbar ist, haben viele Menschen den Kontakt zu ihren körpereigenen Signalen verloren. Hunger und Sättigung verstehen wird zu einer neuen Kompetenz in unserer Überflussgesellschaft. Als Ernährungstherapeut mit Hochschulzertifikat in Ernährungspsychologie beobachte ich in meiner Praxis täglich, wie wichtig es ist, diese verlorene Verbindung wiederherzustellen.
Warum wir unser Gefühl für Hunger und Sättigung verloren haben
Was wir heute als „Hunger“ bezeichnen, ist meist weit entfernt von der existenziellen Erfahrung unserer Vorfahren. Heutzutage bedeutet „Hunger“ oft lediglich: „Hmm, langsam wird es mal Zeit, etwas zu essen.“ Ein milder Impuls, keine dringende Notwendigkeit.
Diese Veränderung hat tiefgreifende Auswirkungen auf unser Essverhalten. Moderne Forschung zeigt, dass psychologische Zustände von Hunger und Sättigung eine wichtige Rolle bei der Regulation der menschlichen Nahrungsaufnahme spielen und auf deklarativen Lern- und Gedächtnisprozessen basieren.[¹]
Die moderne Transformation der Körpersignale
In der heutigen westlichen Welt hat sich die Bedeutung von Hunger und Sättigung fundamental gewandelt:
- Permanente Verfügbarkeit: Supermärkte, Lieferdienste und 24/7-Tankstellen haben die natürlichen Zyklen von Hunger und Nahrungsaufnahme durchbrochen
- Hohe Energiedichte: Moderne Lebensmittel sind oft energiedicht und nährstoffarm – ein Verhältnis, das in der Natur selten vorkommt
- Externe Esssignale: Werbung, soziale Situationen und Uhrzeiten haben die internen Körpersignale als primäre Auslöser für Nahrungsaufnahme ersetzt
Diese Faktoren haben dazu geführt, dass viele Menschen die Fähigkeit verloren haben, echten Hunger von anderen physischen oder emotionalen Zuständen zu unterscheiden.[²] Müdigkeit, Langeweile, Stress oder einfach der Anblick appetitlicher Nahrung können als „Hunger“ fehlinterpretiert werden.
Evolutionsbiologie: Steinzeit-Körper in der Überflussgesellschaft
Der archaische Hunger: Ein Überlebenssignal
Stellen wir uns das Leben einer steinzeitlichen Gemeinschaft vor: Nahrung war unregelmäßig verfügbar. Wochen ohne Jagderfolg waren keine Seltenheit. Unser Stoffwechsel und unser Gehirn entwickelten sich in dieser Umgebung relativer Knappheit.
Drei fundamentale evolutionäre Anpassungen haben unser Überleben gesichert:
- Effizienter Energiespeicher: Unser Körper kann überschüssige Energie hervorragend als Fett speichern
- Appetit jenseits der Sättigung: Die Fähigkeit, auch nach dem ersten Sättigungsgefühl weiterzuessen
- Belohnungssystem: Unser Gehirn belohnt energiereiche Nahrung mit Dopaminausschüttung
Diese evolutionären Anpassungen waren überlebenswichtig in einer Welt der Knappheit. In unserer heutigen Überflussgesellschaft können sie jedoch problematisch werden, wie aktuelle Forschung zur evolutionären Fehlanpassung bestätigt.[³]
Hunger vs. Appetit: Den Unterschied erkennen
Um Hunger und Sättigung verstehen zu können, müssen wir zunächst zwischen echtem Hunger und Appetit unterscheiden:
Echter Hunger:
- Entwickelt sich allmählich
- Entsteht körperlich im Zusammenspiel von Gehirn und Magen-Darm-Bereich
- Kann mit verschiedenen Nahrungsmitteln gestillt werden
- Verschwindet nach dem Essen
Appetit/Gelüste:
- Entstehen plötzlich
- Sind meist psychisch oder emotional bedingt
- Richten sich auf spezielle Lebensmittel
- Können auch nach dem Essen bestehen bleiben
Aktuelle Forschung zeigt, dass Achtsamkeit Teilnehmern hilft, sich ihrer inneren Zustände von Hunger und Sättigung bewusster zu werden und spezifische Signale zu erkennen.[²]
Sättigungssignale richtig deuten
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen zwei Formen der Sättigung:
Sättigung (Satiation)
Das Gefühl der Fülle, das während einer Mahlzeit entsteht und zum Beenden der Nahrungsaufnahme führt.
Sattheit (Satiety)
Das anhaltende Gefühl der Befriedigung nach einer Mahlzeit, das die nächste Nahrungsaufnahme hinauszögert.
Gastrointestinale Sättigungssignale wie Cholecystokinin (CCK) führen dazu, dass kleinere Mahlzeiten konsumiert werden, während die Blockierung endogener Sättigungssignale zu größeren Mahlzeiten führt.[⁴]
Die Hunger-Sättigungs-Skala verstehen
Ein bewährtes Instrument zur Körperwahrnehmung ist die Hunger-Sättigungs-Skala von 1-10. Diese kann als eine Annäherungsmethode genutzt werden, ersetzt jedoch nicht das subjektive Erfühlen des eigenen Hunger- und Sättigungsgefühls.[7]
- 1-2: Extrem hungrig, körperliche Schwäche
- 3-4: Hungrig, idealer Zeitpunkt zum Essen zu beginnen
- 5-6: Neutral, weder hungrig noch satt
- 7-8: Angenehm satt, idealer Zeitpunkt zum Aufhören
- 9-10: Unangenehm voll, übermäßig gegessen
Als Faustregel lässt sich empfehlen, bei einem Hungergefühl von 3-4 mit dem Essen zu beginnen und bei einem Sättigungsgefühl von etwa 7 aufzuhören.
Hunger und Sättigung: Praktische Wege zurück zur Körperintelligenz
1. Achtsames Essen: Wiederentdeckung der Körpersignale
Für das Essverhalten sind die direktesten introzeptiven Informationen Signale zu Hunger, Fülle und Sättigung. Erhöhte Aufmerksamkeit für diese könnte ein wichtiger Mechanismus sein, über den achtsame Essstrategien das Essverhalten beeinflussen.[⁵]
Strukturierte Literaturreviews bestätigen, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen die Wahrnehmung von Hunger- und Sättigungssignalen signifikant verbessern können.[²]
Praktische Übungen für den Alltag:
- Die Hunger-Skala anwenden: Bewerten Sie Ihr Hungergefühl vor jeder Mahlzeit
- Verzögertes Essen: Warten Sie bewusst ab, bis echter Hunger eintritt
- Sättigungs-Pausen: Unterbrechen Sie das Essen kurz, um den aktuellen Sättigungsgrad zu überprüfen
- Langsames Kauen: Geben Sie Ihrem Körper Zeit, Sättigungssignale zu senden
2. Genuss statt Verzicht: Die Qualität der Esserfahrung
Moderne Ernährungspsychologie empfiehlt eine Aufwertung der Essqualität statt Fokus auf Verbote. Studien zeigen, dass genussvolles Essen nicht nur die Zufriedenheit erhöht, sondern auch die Wahrnehmung von Sättigungssignalen verbessert.[³]
„Genüsslich hungern“ bedeutet:
- Bewusste Kultivierung von Appetit und dessen Befriedigung
- Hinauszögern einzelner Mahlzeiten für intensiveren Genuss
- Aufmerksamkeit für Geruch, Geschmack und Textur
- Wertschätzung der Nahrung
3. Umgebungsgestaltung für achtsames Essen
- Ablenkungsfreie Mahlzeiten: Essen ohne Smartphone, TV oder Computer
- Bewusste Portionierung: Kleinere Teller verwenden
- Langsame Nahrungsaufnahme: Besteck zwischen den Bissen ablegen
- Dankbarkeit praktizieren: Bewusstsein für die Herkunft der Nahrung entwickeln
Hunger und Sättigung: Das Erbe der Mangelerfahrungen überwinden
„Iss deinen Teller leer, sonst gibt es schlechtes Wetter“ – solche Sätze haben viele von uns geprägt. Diese Denkmuster sind oft Überbleibsel aus Zeiten des Mangels, die über Generationen weitergegeben wurden. Forschung zur transgenerationalen Weitergabe von Essverhalten bestätigt, dass solche Muster erstaunlich persistent sind.[⁶]
Neue kulturelle Botschaften etablieren
Statt veralteter Essregeln können neue Leitprinzipien helfen:
- „Höre auf deinen Körper“
- „Essen mit Genuss und Achtsamkeit“
- „Qualität statt Quantität“
- „Vertraue deiner Körperintelligenz“
Ernährungsberatung in Hannover: Individuelle Unterstützung
Als Ernährungstherapeut in Hannover unterstütze ich Menschen dabei, ihre natürlichen Hunger- und Sättigungssignale wiederzufinden. In meiner Praxis in der Markthalle Hannover („Bauch von Hannover“) verbinde ich wissenschaftliche Ernährungstherapie mit bewährten Methoden der Ernährungspsychologie.
Mein Ansatz für Hannover und Umgebung
In der Ernährungsberatung Hannover fokussiere ich mich auf:
- Individuelle Körperwahrnehmung: Gemeinsam entwickeln wir Ihre persönliche Hunger-Sättigungs-Skala
- Achtsamkeitstraining: Praktische Übungen für den Alltag in Hannover
- Emotionale Essmuster: Erkennen und verändern von Stress- und Gewohnheitsessen
- Nachhaltige Verhaltensänderung: Langfristige Strategien statt kurzfristiger Diäten
Zwischen Evolution und Moderne: Ein neues Gleichgewicht finden
Die Herausforderung unserer Zeit liegt darin, mit einem steinzeitlichen Stoffwechsel in einer Umgebung des Überflusses zu leben. Neueste Forschungen zur Neuroplastizität geben jedoch Anlass zu Optimismus: Mit dem richtigen Lebensstil bleibt unser Gehirn bis ins hohe Alter formbar und kann neue Verhaltensmuster erlernen.[8]
Hunger und Sättigung: Praktische Schritte für den Alltag
- Bewusstes Wahrnehmen: Fragen Sie sich vor dem Essen: „Bin ich wirklich hungrig?“
- Mahlzeitenpausen: Experimentieren Sie mit längeren Pausen zwischen den Mahlzeiten
- Umgebungsgestaltung: Strukturieren Sie Ihre Essumgebung für achtsames Essen
- Reflexion alter Muster: Hinterfragen Sie Essregeln aus Ihrer Kindheit
- Gesellschaftlicher Austausch: Schaffen Sie gemeinsam neue, gesündere Esstraditionen
Fazit: Hunger und Sättigung – Die Wiederentdeckung der Körperintelligenz
Hunger und Sättigung verstehen ist in unserer modernen Überflussgesellschaft eine Herausforderung, aber keine Unmöglichkeit. Die Wiederverbindung mit unseren natürlichen Signalen erfordert Bewusstsein, Übung und manchmal die Bereitschaft, kulturelle Normen zu hinterfragen.
Als Ernährungstherapeut sehe ich täglich, dass der Weg zu einem gesunden Verhältnis zur Nahrung weniger über starre Diätregeln führt, sondern über das Wiedererlernen des Vertrauens in die eigene Körperintelligenz. Dies bestätigt auch die aktuelle Forschung zu achtsamkeitsbasierten Essstrategien – zumindest für Binge-Eating.[9]
Unser Körper verfügt über eine erstaunliche Weisheit in Bezug auf seine Bedürfnisse – wir müssen nur wieder lernen, ihm zuzuhören.
Professionelle Unterstützung in Hannover
Möchten Sie lernen, wieder auf Ihren Körper zu hören? In meiner Praxis am „Bauch von Hannover“ (Markthalle) unterstütze ich Sie dabei, diese vergessene Sprache neu zu entdecken und eine intuitive, entspannte Beziehung zum Essen zu entwickeln.
Vereinbaren Sie noch heute einen Termin und starten Sie Ihren Weg zurück zur natürlichen Körperintelligenz. Weitere Informationen finden Sie unter verumvita.de
Quellen und weiterführende Literatur
- Paslakis, G., Dimitropoulos, G., & Kohn, M. (2024). Hunger, Satiety, and Their Vulnerabilities. Nutrients, 16(17), 3013. https://doi.org/10.3390/nu16173013
- Warren, J. M., Smith, N., & Ashwell, M. (2017). A structured literature review on the role of mindfulness, mindful eating and intuitive eating in changing eating behaviours. Nutrition Research Reviews, 30(2), 272-283. https://doi.org/10.1017/S0954422417000154
- Chambers, L., McCrickerd, K., & Yeomans, M. R. (2015). Optimising foods for satiety. Trends in Food Science & Technology, 41(2), 149-160. https://doi.org/10.1016/j.tifs.2014.10.007
- Steinert, R. E., Feinle-Bisset, C., Asarian, L., Horowitz, M., Beglinger, C., & Geary, N. (2017). Ghrelin, CCK, GLP-1, and PYY(3-36): Secretory controls and physiological roles in eating and glycemia in health, obesity, and after RYGB. Physiological Reviews, 97(1), 411-463. https://doi.org/10.1152/physrev.00031.2014
- Tapper, K. (2022). Mindful eating: what we know so far. Nutrition Bulletin, 47(2), 168-185. https://doi.org/10.1111/nbu.12559
- Fisberg, M., Gioia, N., & Maximino, P. (2024). Transgenerational transmission of eating habits. Jornal de Pediatria, 100(1), S32-S39. https://doi.org/10.1016/j.jped.2023.09.007
- . Skalen in der Ernährungsberatung: Messen, was zählt
- Maharjan, R., Diaz Bustamante, L., Ghattas, K. N., et al. (2020). Role of Lifestyle in Neuroplasticity and Neurogenesis in an Aging Brain. Cureus, 12(9), e10639. https://doi.org/10.7759/cureus.10639
- Kristeller, J. L., & Wolever, R. Q. (2011). Mindfulness-based eating awareness training for treating binge eating disorder: the conceptual foundation. Eating Disorders, 19(1), 49-61. https://doi.org/10.1080/10640266.2011.533605
Julian Jaschinger ist Ökotrophologe, Ernährungstherapeut und besitzt ein Hochschulzertifikat in Ernährungspsychologie. Seine Praxis befindet sich am „Bauch von Hannover“ (Markthalle). Sein Ansatz verbindet wissenschaftliche Ernährungstherapie mit psychologischen Prinzipien für ein gesundes Verhältnis zu Nahrung und Körper.